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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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die Härchen erhoben sich. Tom grinste kurz, ohne sich umzudrehen. Er würde dem kleinen Luder jetzt mit Sicherheit keinen Bericht erstatten. Heute Abend vielleicht. Wenn
sie nett zu ihm gewesen war. »Danke für den Kaffee, Bella.« Sie liebte es, wenn er sie so nannte. »Ich habe noch mindestens zwei Stunden zu tun.« Ein schneller Blick zu Lara, dann senkte er die Stimme. »Ich rufe dich nachher auf dem Handy an.«
    »Oh, gut.« Isabell klang kurzatmig. In Toms Kopf hockte sie auf allen vieren vor ihm. Er beugte den Oberkörper vor und schob den angewinkelten Unterarm zwischen Tischplatte und Brust, um die Ausbuchtung in seiner Hose zu verdecken. Hatte die Kleine verstanden, dass sie verschwinden sollte? Isabell löste sich von seiner Rückenlehne und trippelte in Richtung Tür. Ihre viel zu hohen Schuhe verstärkten die Ausgleichsbewegungen des Beckens, was ihren Gang  – zumindest in Toms Augen  – unnachahmlich aufreizend machte.
    »Ich gehe jetzt nach Hause.« Das trompetete sie heraus, damit auch Lara es hören konnte: Isabell begab sich allein heim.
    Tom nickte. »Bis morgen, Isi.« Obwohl sie nun schon seit über einem Dreivierteljahr etwas miteinander hatten, wollte er nicht, dass ihre Affäre publik wurde. Wahrscheinlich wusste in der Redaktion zwar ohnehin jeder Bescheid, aber wenn man es im Geheimen trieb, konnte man es jederzeit abstreiten. Tom hatte keine Lust, sich die Karriere zu verbauen, bloß weil er auf eine kleine Praktikantin geil war.
    Lara kam vom Kopierer zurück und nahm ihm gegenüber Platz. Tom starrte auf das Bildbearbeitungsprogramm. Was wollte die Kollegin eigentlich noch hier? Sie ging doch sonst, wenn sie Frühschicht hatte, auch spätestens um siebzehn Uhr. Solange sie noch hier herumlungerte, konnte er den geplanten Artikel über die Plattenbauleiche schlecht schreiben. Und die Zeit wurde allmählich knapp. Er hatte sich vorgenommen, nachdem die Arbeit hier beendet war, noch einmal nach Grünau hinauszufahren und ein paar Leute zu befragen. Irgendjemand konnte ihm sicher Auskunft geben, welche Baufirma den Abriss betreute. Und dann wäre es ein Leichtes, die Namen der Arbeiter
herauszufinden, die die Leiche entdeckt hatten, um sie gleich morgen früh, vor seinem Dienst zu befragen, solange ihre Erinnerungen noch frisch waren. Womöglich hatte auch der eine oder andere Anwohner noch Details beobachtet, die ihm Stiller verschwiegen hatte.
    Tom rief das Layoutprogramm auf und begann, den Bericht über das Mehrgenerationenhaus in die Tasten zu hämmern.

6
    Isolde Semper zog die Haustür ins Schloss, drehte den Schlüssel und rüttelte an der Klinke, um sich zu vergewissern, dass die Tür auch wirklich verschlossen war. Kater Minkus hatte sich wie eine pelzige Statue auf dem Fensterbrett des Wohnzimmerfensters drapiert. Nur seine Augen bewegten sich und beobachteten, wie sein Frauchen, die Linke fest um das Geländer geklammert, langsam die vier Stufen zur Straße hinabstieg. Sie hatte Schmerzen. Ihr Knie machte sich bei jedem Schritt bemerkbar. Sie war gerade mal vierundsechzig und fühlte sich wie achtzig. Unten angekommen, sah sie in alle Richtungen. Ihre schmalen Lippen kräuselten sich unwirsch, als aus dem benachbarten Haus eine junge Frau mit einem etwa siebenjährigen Jungen an der Hand herauskam. Die junge Mutter wühlte in ihrer Handtasche. Der Junge nutzte ihre Unaufmerksamkeit aus und streckte Isolde Semper die Zunge heraus. Im gleichen Augenblick, in dem seine Mutter den Autoschlüssel gefunden hatte, schloss der kleine Frechdachs den Mund und lächelte treuherzig, während er sich in Richtung der geparkten Autos ziehen ließ.
    »Tag, Frau Semper.« Die junge Frau sah ihre Nachbarin nicht an, sondern hetzte weiter. Die gemurmelte Antwort nahm sie kaum wahr. Im Vorbeigehen fraß sich das Grinsen des Kindes
förmlich in Isolde Sempers Gesicht. Sie spürte eine Ader an ihrer rechten Schläfe pochen. Ihre Augen verengten sich, während sie den beiden nachsah. Diese Kinder wurden von Jahr zu Jahr unerträglicher. In der Tasche ihrer altmodischen Jacke hatten sich die Finger wie von selbst zur Faust geballt, und sie malte sich in den glühendsten Farben aus, wie sie dem rotznäsigen Bengel Manieren beibringen würde.
    Die Sonne stach herab. Isolde Semper fühlte, wie sich das Pochen in ihrem Kopf zu einem Dröhnen verdichtete. Nicht dass die Bälger früher folgsamer gewesen wären. Aber zumindest hatte man damals andere Möglichkeiten gehabt, die Gören zu

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