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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Haar krümmen!« Jetzt schrie sie fast, weil sie wusste, dass die anderen Kinder auf dem Gang atemlos lauschten.
    »Zieh deine Schulkleidung aus, los!« Mia machte einen Schritt
auf ihren Spind zu, stolperte und fing sich wieder. In ihrem Schrank waren nicht viele Sachen. Nachmittags zog sie immer eins der Kleidchen an, die Mama ihr noch gekauft hatte. Mama! Mia schluchzte, zog die Nase hoch und erstarrte. Sie konnte fühlen, wie der Blick von Miss Piggy ihre knochigen Schulterblätter versengte. Jetzt hätte sie lieber lange Hosen gehabt, aber es gab niemanden, der ihr diese gekauft hätte. Eilig zerrte Mia die Strumpfhose hoch, warf sich das Kleid über den Kopf und nestelte viel zu lange an den Knöpfen. Die Erzieherin schnaufte ungeduldig. »Wird’s bald, lahme Ente? Und jetzt komm her zu mir!«
    Mia konnte sich nicht bewegen, und so marschierte die Gurich zu ihr. »Dreh dich um!« Sie suchte in ihrer Kitteltasche. Dann spürte Mia eine Hand an ihrem Rücken. Ohne es sehen zu können, wusste sie, was die Erzieherin dort mit Sicherheitsnadeln befestigte. Es war ein geringelter Schweineschwanz. Die Frau musste ihn heute Vormittag extra aus dem Schlachthof geholt haben.
    Dann krallte Miss Piggy ihre Finger um die Schultern des Mädchens und riss das Kind mit einem heftigen Ruck zu sich herum. Mia konnte den Busen der Frau wogen sehen. Sie roch nach Essen und altem Schweiß.
    »Und das kennst du ja auch noch!« Die Gurich zog ein Pappschild aus der Tasche. An den beiden oberen Ecken war eine Schnur befestigt. Fast liebevoll legte die Erzieherin die Kordel über Mias Kopf und rückte das Schild zurecht. Dann schob sie das Kind auf Armeslänge von sich und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Blockbuchstaben.
    »So, Mädchen. Ich hoffe für dich, dass dir das dieses Mal eine Lehre sein wird.« Das feiste Grinsen erschien wieder. Die Gurich gab Mia einen Schubs, sodass diese zwei Schritte rückwärts taumelte.
    »Jetzt wirst du dein Bett neu beziehen, und dann gehen wir zu
den anderen.« Mit ausgestrecktem Finger wies sie auf einen sauber gefalteten Stapel blaukarierter Wäsche, der auf dem Tisch lag. Mia tappte hinüber, bemüht, nicht zu schniefen. Sie sah nur verschwommene Umrisse, weil die Tränen sie blind gemacht hatten.
    Das Laken widersetzte sich ihren Bemühungen. Das tat es immer. Aber morgens war Karli da und half. Mias Arme waren einfach noch zu kurz, um die Ecken unter der Matratze einzuschlagen. Sie musste dazu auf das Bett krabbeln, und auch dann gelang es ihr nur unzureichend. Die Gurich betrachtete das Ganze mit versteinerter Miene und vor der Brust verschränkten Armen.
    Als Mia endlich fertig war, drehte die Erzieherin sich um und marschierte vorneweg zur Tür. Sie wusste, dass das Mädchen ihr folgen würde, folgen musste.
    Mia nestelte in ihrer Seitentasche nach dem zerdrückten Stofftaschentuch, das sie sich gestern eingesteckt hatte, und bemühte sich dabei, das Pappschild nicht zu berühren. An ihrem Rücken brannte der Schweineschwanz.
    »Die Pissnelke kommt!« Die dicke Susi war von ihrem Stuhl aufgesprungen. Jetzt kam sie näher, musterte Mia und tat so, als lese sie den Text auf dem Pappschild zum ersten Mal: »Ich bin das größte Schwein im ganzen Kinderheim!« Susi kicherte hysterisch. »Und was hast du dahinten dran? Zeig mal!« Mia schüttelte den Kopf. Tränen rollten heiß über ihre Wangen.
    »Na los, zeig schon!«
    Auch Sandra und Kerstin sahen von ihren Heften hoch. Die Gurich packte Mias Schultern und drehte das Mädchen mit dem Rücken zu den anderen.
    »Ein Schweineschwanz!« Susi quiekte die Worte heraus und sprang, noch immer wie irre kichernd, zu ihrem Stuhl zurück. »Die Pissnelke hat einen Schweineschwanz! Schweine dürfen angespuckt werden, nicht, Frau Gurich?« Die Erzieherin nickte würdevoll und lächelte dann. Susi hatte vollkommen recht. Bettnässer waren Schweine und wurden bestraft, indem sie den ganzen
Tag das Schild und den Ringelschwanz tragen mussten und von allen Kindern angespuckt werden durften. Das wurde ausdrücklich erwartet. Allen Zöglingen war klar, was die Maskerade bedeutete.
    »Du bist ein Schwein. Ein Pissschwein!« Susi kam näher, den Mund gespitzt. Mia wusste, was nun kommen würde. Sie kniff die Augen zu und wartete auf das schmatzende Geräusch des Speichels in ihrem Gesicht.
    In diesem Moment ging das Licht in ihrem Kopf aus.

18
    Mia ließ die Augen geschlossen. Noch immer wollten heiße Tränen hervorquellen. Das schmierige Gefühl

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