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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Mittel. Ich blieb zum Glück verschont, vielleicht weil ich ein Junge war  – Meller mochte lieber kleine Mädchen  –, vielleicht auch, weil ich mich sehr schnell anpasste und alles tat, was er anordnete. Ich habe keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Ich möchte ihm jedenfalls nie wieder begegnen!
    Das wirst du auch nicht. Meller wird niemanden mehr mit Wasser foltern. Matthias Hase lächelte sanft und bedauerte es, Sebastian nichts von Mellers Strafe schreiben zu können. Wohlige Wärme breitete sich in seinem Bauch aus und flutete langsam nach oben. Es war ein atemberaubendes Gefühl. Er nahm einen Schluck Cola und las weiter.
    Außer Meller erinnere ich mich noch an eine Frau Gurich. Ihren Vornamen weiß ich leider nicht. Die Sagorski und die Gurich sahen sich ziemlich ähnlich. Sie hätten Schwestern sein können. Kanntest Du die Gurich auch? Ihr Spitzname war
»Miss Piggy«, weil ihre Nase wie die eines Schweines aussah.
    Kindern, die ins Bett gemacht hatten, hängte sie einen Schweineschwanz an den Rücken. Sie hat sicher nicht geahnt, wie wir sie genannt haben.
    Matthias betrachtete den Namen auf dem Bildschirm und buchstabierte ihn noch einmal stumm, aber weder bei GURICH noch bei »Miss Piggy« tauchten irgendwelche Bilder in seinem Kopf auf. Wahrscheinlich hatte die Erzieherin erst nach seinem Aufenthalt angefangen, im Heim zu arbeiten. Er nahm sich vor, seinen neuen Brieffreund danach zu fragen.
     
    Matthias betrachtete die Fernbedienung in seiner Rechten und wusste im ersten Augenblick nicht, was er damit anfangen sollte. Er saß auf dem Sofa, gemütlich in eine Ecke gekuschelt, die Patchworkdecke über den Füßen, neben sich auf dem flachen Tisch ein halbvolles Glas Rotwein. Im Fernsehen liefen die Nachrichten. Der Ton war auf stumm gestellt. Er musste eingeschlafen sein, ohne es zu merken. Die Arbeitswoche hatte ihn anscheinend mehr geschafft, als er es gedacht hatte.
    Nur langsam arbeiteten sich die Erinnerungen in seinem Bewusstsein ans Licht. Diese E-Mail von Sebastian Wallau hatte ihn ziemlich durcheinandergebracht. All die Einzelheiten, die Spitznamen, die Ereignisse wirbelten durch seinen Kopf wie trockenes Laub im Herbstwind. Er schaltete den Fernseher aus und wurstelte die Beine aus der Decke.
    In der Küche goss er den restlichen Rotwein in die Spüle. Draußen wurde es schon dunkel. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er fast drei Stunden geschlafen hatte. Aber das machte nichts, schließlich war Wochenende, und er konnte so lange auf dem Sofa schlafen, wie er wollte. Und jetzt hatte er Hunger.
    Matthias Hase dachte über den weiteren Verlauf des Abends nach. Er hatte zwei neue Namen  – Gurich und Sagorski. Da er
diese Frau Gurich nicht kannte, würde er zuerst Nachforschungen über die Heimleiterin anstellen, auch wenn noch nicht entschieden war, ob er sie überhaupt bestrafen wollte. Darüber konnte er sich später noch Gedanken machen.
    Sagorski
    Obwohl es ein seltener Name war, spuckte das Internet-Telefonbuch hunderte von Einträgen zu dem Namen aus. Matthias betrachtete die rosa unterlegte Seite und überlegte dabei, wie er die Trefferzahl eingrenzen konnte. Der Vorname der mopsgesichtigen Frau wollte ihm noch immer nicht einfallen, aber vielleicht wohnte die Heimleiterin noch in der Nähe des ehemaligen Kinderheims. Mit der Umkreissuche fand er drei Sagorskis, allerdings alle drei mit männlichen Vornamen. Das musste jedoch nichts bedeuten, denn oft wurde nur der Name des Mannes in die Telefonbücher eingetragen. Schnell kritzelte Matthias Adressen und Telefonnummern auf einen Zettel und schaute dann bei Google Maps nach, wo die drei wohnten. Morgen war Sonntag. Er würde genug Zeit haben, der Reihe nach zu den drei Häusern zu fahren und zu schauen, ob »seine« Frau Sagorski dabei war. Ein Vorwand, um an der Tür zu klingeln und, falls sie nicht selbst öffnete, nach ihr zu fragen, würde sich auch noch finden. Alles zu seiner Zeit. Auch die Entscheidung, ob die Heimleiterin ebenfalls bestraft werden sollte, ließ Matthias Hase offen. Seine innere Stimme würde es ihm sagen, wenn er ihr gegenüberstand.

17
    »Aufstehen!« Zeitgleich mit dem barschen Ruf knallte die Tür gegen die Wand. Grell blendete das Licht der aufflackernden Neonröhren schlaftrunkene Kinderaugen.
    »Los, los, raus!« Die herrische Stimme entfernte sich in Richtung
Nachbarzimmer. Leises Seufzen und Rascheln erfüllte den Raum. Über Mia ächzte das metallene Bettgestell. Dünne Beine baumelten

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