Sensenmann
zu flüstern. »Ich will dir etwas Schönes zeigen. Es wird dir
gefallen.« Kehliges Kichern, dann ein gedämpftes Stöhnen. Es ging hinaus.
Mit einem Schrei erwachte Mia. Ihre weit geöffneten Augen brauchten einige Sekunden, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann hob sie den Kopf und sah an sich herunter. Nackte Beine. Sie musste sich im Traum freigestrampelt haben. Kühl strich die Nachtluft über ihren Körper. Mia berichtigte sich. Nicht nur die Beine waren nackt. Sie war komplett unbekleidet. Neben ihr raschelte das Bettzeug. Dann bewegte sich ein schwerer Körper, und eine Männerstimme murmelte etwas Unverständliches.
Mias zweiter Schrei war gellender. Das Kreischen prallte auf die Wände und kam als vielfaches Echo zurück.
»Mein Gott, was ist denn los?« Neben Mia richtete sich ein großer Körper auf. Sie unterdrückte einen weiteren Aufschrei. Weiße Haut, bedeckt mit dunklem Pelz, das Gesicht in der Finsternis nicht mehr als eine helle Scheibe. Die Männerstimme ein tiefer Bass. »Beruhige dich doch. Hast du schlecht geträumt?«
Mia brauchte schier endlos erscheinende Sekunden, bis sie erkannt hatte, wer der pelzige Mann in dem Bett neben ihr war: Frank Schweizer, der Journalist von der Tagespost. Er beugte sich von ihr weg. »Warte, ich mache das Licht an.« Ein Klicken, dann flammte eine kleine Lampe auf. Gelbes Licht blendete Mias Augen, und sie blinzelte. In ihrem Hals hatte sich ein dicker Knoten gebildet, der auf die Luftröhre drückte. Hinter ihrer Stirn begann das altbekannte Hämmern. Der Mann neben ihr schwieg. Vielleicht wartete er, bis sie zu sich kam.
Erst jetzt sah sie sich um. Das war ein fremdes Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch neben ihr standen eine halbvolle Sektflasche und zwei Gläser. Und sie lag nackt in einem Doppelbett mit einem ebenso nackten Mann, den sie gerade mal eine Woche kannte. Die Situation war eindeutig. Hastig griff Mia nach der
Bettdecke und zog sie bis an die Nasenspitze. In ihrem Innern schrie etwas noch immer wie ein verwundetes Tier.
»Geht’s wieder?« Frank Schweizer legte seine Hand auf ihre Schulter. Es fühlte sich genauso an wie in ihrem Traum und Mia atmete scharf ein. Ihre letzte Erinnerung war die an das Training im Fitnessstudio. Sonnabendnachmittag von zwei bis vier. Und jetzt war es mitten in der Nacht. Wie war sie hierhergekommen? Hatte der Typ neben ihr sie betrunken gemacht, abgeschleppt und vergewaltigt? Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber es kam kein Ton heraus.
»Du hattest bestimmt einen Albtraum. Aber jetzt ist es wieder gut, nicht?« Die Männerhand begann zu streicheln, und Mia erstarrte, während er weiterredete. »Komm, wir schlafen noch ein bisschen. Es ist erst kurz vor vier. Und morgen, oder besser heute, ist Sonntag. Möchtest du noch einen Schluck Sekt?« Er zeigte auf die Flasche. »Oder lieber etwas Alkoholfreies? Ein Wasser? Wasser ist besser, nicht?« Er machte Anstalten, das Bett zu verlassen, da erst fand Mia ihre Stimme wieder. Es war nur ein raues Krächzen. »Nein. Nichts. Ich möchte nichts.« Die Decke fest um den Körper gewickelt, stand sie auf und hielt nach ihren Kleidungsstücken Ausschau. Überall im Zimmer waren Teile verstreut. Höschen und BH lagen halb unter dem Bett, die Strumpfhose neben der Tür. Die durchsichtige rote Spitze schrie ihr das Wort »Nutte« entgegen. Wer solche Dessous trug, hatte nicht vor, den Abend allein zu beenden. Der graue Bleistiftrock und die elfenbeinfarbene Seidenbluse befanden sich im Flur, genau wie die hochhackigen Pumps.
Sie selbst hatte sie dorthin geworfen. Das sah ganz nach freiwilligem, wildem Sex aus.
Frank Schweizer saß im Bett, die Arme über der behaarten Brust verschränkt, und schaute ihrem Tun ungläubig zu. Irgendwo tief in ihrem Innern verstand Mia ihn sogar. Zuerst war sie wie wild über ihn hergefallen, und nun spielte sie die Prüde.
Aber auf seine Gefühle konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie musste hier weg. Und zwar schnell. »Wo ist das Bad?«
»Zweite Tür rechts.« Frank Schweizer zeigte nach draußen in den Flur, sein Gesichtsausdruck noch immer bestürzt über den plötzlichen Stimmungswandel der Frau, die ihm vor drei Stunden noch die Kleider vom Leib gerissen hatte. Die Sachen über dem Arm, verschwand Mia in dem angegebenen Raum. Ihr Körper schrie nach einer Dusche, so heiß, dass die Haut davon taub wurde, wollte Seife und Bürste, verlangte wieder und wieder danach, abgescheuert zu werden, aber sie
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