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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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jetzt seit Dienstag vor sich her. Sie hatte weder seinen Rat befolgt, alles aufzuschreiben, was sie bisher »gesehen« hatte, noch ernsthaft über die Bedeutung dieser Halluzinationen nachgedacht. Wie von selbst wählten ihre Finger Marks Nummer.
    »Hallo?« Eine Kinderstimme. Lara brauchte einen Augenblick, um sich zurechtzufinden. Die Kinderstimme musste Marks Tochter Joanna gehören.
    »Ist dort Grünthal? Mein Name ist Lara Birkenfeld, und ich möchte gern mit Mark sprechen.«
    »Papi? Der ist nicht da.« Ein Seufzen, dann trappelten Schritte.
Lara konnte hören, wie das Kind mit jemandem flüsterte. Dann meldete sich eine Frau. »Grünthal.«
    »Frau Grünthal? Lara Birkenfeld. Ich wollte eigentlich Ihren Mann erreichen.«
    »Der ist auf einer Fortbildung, Frau Birkenfeld.« Marks Frau wusste sofort, wer sie war. »Er kommt erst morgen Abend zurück. Versuchen Sie es doch auf dem Handy, wenn es dringend ist.« Sie klang unterkühlt. Lara dachte an die Eifersucht der Frau. Hoffentlich hatte sie in ihrer Entschlossenheit, Mark sofort anzurufen, keinen Fehler begangen.
    »Danke. Das werde ich versuchen. Ein schönes Wochenende noch!«
    »Auf Wiederhören.« Es klickte. Anna Grünthal hatte den Wunsch nicht erwidert.
    Lara wog nachdenklich das schwarzglänzende Mobiltelefon in ihrer Hand und wischte dann mit dem Daumen über einen Fleck auf dem spiegelnden Display, bevor sie es beiseitelegte und in ihre Jeans schlüpfte. Vielleicht hatte Mark gerade Mittagspause. Und wenn nicht, konnte sie eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Ihre Finger wählten schon, noch ehe der Gedanke ganz zu Ende gedacht war.
    »Grünthal?«
    »Hi, Mark. Ich bin’s, Lara.«
    »Hallo, Lara! Was für eine Überraschung. Ich habe gerade an dich gedacht. Das muss Telepathie sein! Stell dir vor, ich bin ganz in deiner Nähe!« Im Hintergrund ertönte Stimmengewirr und das Klappern von Geschirr.
    »Du bist hier in der Nähe?«
    »Ja, zu einem Kongress. Das Thema heißt ›Biologische, interaktionelle und soziokulturelle Modelle psychischer Störungen‹.« Er lachte. »Klingt interessant, was?«
    »Na, ich weiß ja nicht.«
    »Eigentlich diskutiert die Deutsche Gesellschaft für Psychologie
aber seit heute früh über geänderte Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten. Durch die Bologna-Reform werden die Studiengänge verändert, und das bedeutet für uns, dass die erforderlichen Kompetenzen nicht mehr gegeben sind. Nun wird ein Vorschlag von Mindestanforderungen erarbeitet. Wie du dir vorstellen kannst, kostet das Zeit und Nerven. Aber deswegen hast du mich bestimmt nicht angerufen.«
    »Klingt schrecklich.« Lara lachte auch. Die Fachbegriffe schwirrten durch ihren Kopf. Obwohl sie wusste, dass die Bildungsminister in Bologna vor zehn Jahren beschlossen hatten, einen »gemeinsamen europäischen Hochschulraum« mit gleichwertigen Master- und Bachelorabschlüssen zu schaffen, hörte sich »Bologna-Reform« für sie immer wie ein italienisches Nudelgericht an. Jedenfalls war Mark ihr anscheinend nicht böse, dass sie ihn nicht wie vereinbart bereits am Dienstagabend zurückgerufen hatte. »Wo bist du denn genau?«
    »Auf Schloss Wolfsbrunn. Ein schönes Umfeld, großzügige Zimmer, riesiger Park, gute Küche. Nur leider sitzen wir den ganzen Tag in den Beratungen.«
    »Ein sehr schönes Hotel. Ich kenne es. Wir haben ab und zu über die Veranstaltungen, die dort stattfinden, berichtet.« Lara sah das große weiße Gebäude mit dem grünen Dach inmitten der alten Bäume vor sich. Mark schwieg. Die alte Psycho-Masche. Er wartete darauf, dass sie mit dem Grund ihres Anrufes herausrückte. »Ich wollte dich ja eigentlich schon am Dienstagabend anrufen, aber da ist mir leider etwas dazwischengekommen.« Zwei Verabredungen mit verschiedenen Männern. Der eine gefiel ihr, der andere nicht. Lara überlegte kurz, warum sie Mark darüber nichts sagen wollte, und fuhr fort: »Dann war die ganze Woche was anderes los. Du kennst das ja.«
    »Hm.«
    »Ich habe inzwischen meine neuesten Erlebnisse übersinnlicher
Art«, Lara kicherte kurz über den absurden Begriff und fand sich dabei ein bisschen hysterisch, »systematisiert und geordnet. Und nun wollte ich dich fragen, wann wir denn mal in aller Ruhe darüber reden können.« Nichts hatte sie getan. Aber die eben gemachte Aussage würde sie dazu zwingen, das schnellstens nachzuholen.
    »Weißt du was?« Sie konnte ihn gehen hören. Schnelle Ledersohlen auf

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