Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
der Vernichtung entgangen? Die Antworten auf meine Fragen erschienen mir bereits als Kind unglaubwürdig. Dennoch akzeptierte ich sie. Gab es einen Anlass, die Worte unserer Lehrer anzuzweifeln? Nicht den geringsten. Was konnte es ihnen auch bringen, uns, ihre Nachkommen, anzulügen?
Opreju hassen Menschen, diese Tatsache nahm ich genauso als gegeben hin wie das Blau des Himmels. Der Große Krieg, so lernten wir es, war ein von den Opreju angezettelter Vernichtungsfeldzug gewesen, mit dem Ziel, die Menschheit auszulöschen und sich ihrer Siedlungsgebiete zu bemächtigen. Heroisch sei der Widerstand gewesen, aufopferungsvoll und heldenhaft. Nur die Stärksten und Mutigsten überlebten. Sie stoppten den Vormarsch der Angreifer, als an einen Sieg über die hoffnungslose Übermacht niemand mehr glaubte. Die geschlagenen Opreju wurden zurückgedrängt, hinaus aus Avenor, hinaus aus Aotearoa, dorthin wo sowieso kein Mensch mehr freiwillig existieren wollte, nach Laurussia.
So weit so gut.
Aber:
Warum fürchteten wir die Opreju so sehr, wo wir sie doch besiegt und verjagt hatten?
Weshalb wagte sich annähernd zwei Jahrhunderte niemand mehr an den Wiederaufbau der zurückeroberten Gebiete im Süden Aotearoas, namentlich in Otago und der Grenzregion Ergelad?
Und vor allem: Wie kam es zu dem Tabu, das es den doch so siegreichen Menschen verbat, den Skelettfluss zu überqueren, die Grenze zwischen Ergelad und Laurussia, dort wo einst die Uhleb siedelten und das sich nun in der Hand der Opreju befand?
Das Tabu schütze die Menschen, lautete die unbefriedigende Antwort. Solange kein Mensch den Boden Laurussias betrete, sei der Frieden gewahrt. Aber von wem waren diese Bedingungen ausgehandelt worden? Von den Menschen, den Siegern? Wie Sieger benahmen sich die Siegreichen jedenfalls nicht. Das Tabu hingegen schien allerdings durchaus Sinn zu machen, denn seit Generationen war der Frieden gewahrt, hatte kein Mensch mehr einen Opreju zu Gesicht bekommen. Unten im Süden Aotearoas, am Skelettfluss, endete dafür die Welt der Menschen und begann die der Opreju.
So einfach war das.
Glasklar.
Jedoch, einige wussten hinter vorgehaltener Hand vom Gegenteil zu berichten. Wie oft das Tabu seit Ende des Krieges schon gebrochen worden war, konnte niemand genau sagen. Aber es war mit Sicherheit gebrochen worden, daran gab es wenig Zweifel. Beweisen ließ es sich schlecht, und dagegen sprach auch die Tatsache, von den gefürchteten Folgen noch nichts gespürt zu haben.
Letzten Endes übernahmen wir nach außen hin das Verhalten der Älteren und akzeptierten das Tabu. Immerhin schützte es uns unzweifelhaft seit Jahrhunderten, aus welchem Grund also daran rütteln? Die Zweifel hingegen hielten sich. Mich beschlich bereits im zarten Knabenalter der Verdacht, unsere Lehrer glaubten vieles selbst nicht, was sie lehrten. Nun hielt ich zum ersten Mal Aufzeichnungen in den Händen, die die Geschichte Gondwanalands anders beschrieben. Wenig passte zu dem, was mir gelehrt worden war.
Anfangs wirkten die anerzogenen Mechanismen. Ich wehrte mich gegen das vielfach unverständliche Gekritzel und zog es ins Lächerliche. Eine durchaus nachvollziehbare Reaktion, zu utopisch und phantastisch klang all das, was ich in mich hineinschlang. Wenn es mir schon abwegig vorkam, wie würde Rob erst darauf reagieren? Grotesk. Absurd. Welch krankes Gehirn diese Märchen wohl ersonnen hatte? Absolut unglaubhaft. Genau so dachte ich zu Beginn. Doch schon bald setzte sich stückweise die Überzeugung durch, hier etwas Revolutionäres in den Händen zu halten, etwas, das keiner blühenden Phantasie entsprungen sein konnte. Diese Ansicht vertiefte sich mit jeder Zeile, die ich zu entziffern in der Lage war.
Beim letzten Abendessen am Lagerfeuer vor dem Höhleneingang beschloss ich mein Schweigen gegenüber Rob zu brechen. Er selbst hatte seine Aufmerksamkeit nur den Landkarten gewidmet, jedoch schnell das Interesse verloren und sich wieder voll und ganz dem Boot zugewandt. Nun kannte ich Rob gut. Sein unbändiger Wissensdrang ließ sich sehr wohl mit meinem gleichsetzen. Anders als ich hatte er jedoch zu keiner Zeit Spaß am Lesen empfunden und dementsprechend unterentwickelt blieben seine Fertigkeiten. Er schämte sich schlicht und einfach dieser Tatsache und überließ mir daher kampflos das Feld. Nicht eine Minute forderte er Unterstützung bei der Reparatur des Bootes ein. Offensichtlich wollte er mir die nötige Zeit geben, mir ein genaues Bild zu
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