Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
als die Bücher zerfallen konnten, verfärbte sich bräunlich, trocknete ein und bröckelte von mir herunter.
Stumm und starr stand ich da, als die Nebel, die bedrohlichen Schatten, wieder auftauchten und mich einhüllten. Ich sah nichts mehr, hörte nichts mehr, fing an zu röcheln, als mir die Atemluft wegblieb. Spätestens an dieser Stelle erwachte ich stets. In leicht abgewandelter Form sollte dieser Traum in den kommenden Nächten mein treuer Begleiter werden. Einzelheiten änderten sich. Manchmal sah ich zwischen den sterbenden Bäumen die Körper toter Menschen, deren weit aufgerissene Augen mich bezichtigend anstarrten. Zuweilen erstarb der geheimnisvolle grüne Trieb noch bevor er an mir hochkletterte, und die Bücher in meinen Händen verwandelten sich in dunkelhäutige, echsenartige Kreaturen, die ich nach dem Erwachen nicht mehr zu beschreiben in der Lage war. Ein Ereignis aber blieb unverändert. Am Ende holten sie mich immer wieder ein, die Schatten, nahmen mich in sich auf und löschten die Welt aus. Gelegentlich setzte sich der Traum fort, dann lief ich, rannte ich los, um aus dem Nebel herauszufinden. Allein, ich rannte vergeblich.
Mein Leben war im Begriff sich zu verändern. Mit den Nächten begann es. In absehbarer Zeit würde nichts mehr so sein, wie es einmal war. Und das war erst der Auftakt. Bald, sehr bald, sollte sie beginnen, die große Reise, an dessen Ende nicht einmal mehr das Bestand haben würde, was mich im Innersten ausmachte.
Mitten in der Nacht fuhr ich hoch. Rob schlief tief und fest, ein beruhigendes Zeichen, doch nur in meinem wüsten Traum laut geschrien zu haben. An Schlaf war nicht mehr zu denken, so sehr ich es auch versuchte. Letztlich lockte mich das silberne Licht des Mondes den Strand hinunter, wo das wiederhergestellte Boot im Sand lag. Die rechte Hand auf das Ruder legend, ließ ich mich von der Erhabenheit der Natur beruhigen. Immerhin fühlte ich keine körperliche Bedrohung mehr, die Nachwirkungen des düsteren Alptraums nahmen ab. Schon wusste ich nicht mehr, wovon ich eigentlich geträumt hatte. Die schimmernde, mondbeschienene See präsentierte sich ausnehmend ruhig und still, kein Lüftchen ging. In meinem Kopf herrschte dafür das komplette Gegenteil, ein gnadenloses Durcheinander.
Wieso wühlte mich der Fund dieser alten Schriften so sehr auf? Tagsüber betrachtete ich all diese Neuigkeiten, die mir begegneten, aus einer gewissen Distanz, wie ein Außenstehender, ein neutraler Betrachter, nach dessen Meinung niemand fragte. Doch nachts, im Schlaf, fand ich mich im Mittelpunkt der Ereignisse wieder und spielte eine ganz andere, eine überraschend aktive Rolle. Und immer wieder diese Bücher, die letzten Endes zu Staub zerfielen, ganz gleich was passierte.
Meine Abneigung gegen die Schriften wuchs. Noch gestern hatte ich mich gefragt, wie ich es bewerkstelligen wollte, alle ohne Ausnahme nach Stoney Creek zu bringen, wo ich sie auszuwerten gedachte. Im Licht des Mondes war ich nicht mehr sicher, ob es sich um eine gute Idee handelte. Überzeugt, niemandem davon erzählen zu dürfen und den Kreis der Wissenden auf Rob und mich beschränkt zu halten, bis ich mir im Klaren war, wie damit umzugehen war, spürte ich jedoch auch, es nicht geheim halten zu dürfen.
Lange saß ich grübelnd da, von einem Extrem ins andere fallend. Erst schien ich davon überzeugt, nur die Aufzeichnungen zurückzulassen, die ich nicht lesen konnte. Wenig später erachtete ich es als das beste, alle ausnahmslos mitzunehmen. Doch je länger ich die eine oder andere Möglichkeit erwog, je tiefer ich in mich hineinhörte, desto stärker spürte ich die Abneigung gegenüber unserem Fund, gegenüber Radan, gegenüber der Entscheidung, vor wenigen Tagen zum Fischen an die Tiefe Rinne gesegelt zu sein. Der bloße Gedanke, eine weitere Nacht in der Nähe der Höhle verbringen zu müssen, erfüllte mich mit unergründlicher Furcht. An Intensität gewann dafür die Gewissheit, etwas ans Tageslicht gezerrt zu haben was besser unentdeckt geblieben wäre.
In diesen Minuten entschied ich, nicht ein einziges Buch mitnehmen zu wollen, sie alle aufzugeben. Kurzfristig spielte ich sogar mit dem Gedanken, sie, wie Rob es vorgeschlagen hatte, ins Meer zu werfen. Allerdings wusste ich genau, es nicht übers Herz zu bringen. Nein, dazu hatte ich kein Recht.
Bei Sonnenaufgang sammelte ich alle Aufzeichnungen zusammen und brachte sie zurück in die Höhle, dorthin, wo sie so lange Zeit unentdeckt
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