Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Sava. Nein, ich rede nicht von Sava… ich rede von Avalea.“
Avalea… die Skiava aus Hyperion.
Wie viele Jahrzehnte war dieser Name nicht mehr gefallen? Uralte, zum Teil verdrängte Bilder tauchten vor meinem geistigen Auge auf, Bilder aus einer längst vergangenen Zeit, einer längst vergangenen Epoche. Mein Geist driftete ab, bevor Kristers Worte wieder die Oberhand gewannen. Hatte er das soeben Gesagte wirklich von sich gegeben? Ich war nicht mehr gänzlich sicher.
„Du erwartetest ein Kind von Avalea?“ flüsterte ich mitfühlend. Erinnerungen an Laura erwachten, tief verschüttete Einzelheiten drängten aus den Tiefen des Unterbewusstseins zutage. „Sagte sie nicht einmal, Skiavas könnten keine Kinder bekommen?“
Der Anflug eines Lächelns lag auf Kristers Gesicht.
„Du hast ihr genau wie ich einfach alles geglaubt, nicht wahr?“ Einen Augenblick blitzten seine Augen auf, das letzte Aufflackern eines erlöschenden Feuers. „Damals auf der Feuerinsel, als der Speer sie schon durchbohrt hatte, vertraute sie es mir an.“
„Und entsprach es der Wahrheit?“
Krister zuckte mit den Achseln.
„Ich denke ja.“ Sein Blick schweifte ab. „Ja, ich denke doch“, fügte er nach einer Weile hinzu.
Es verstrichen schweigsame Minuten.
Dann sagte ich: „Du hast Jahrzehnte geschwiegen. Wieso erzählst du es mir jetzt?“ Auch wenn ich die Antwort fürchtete, gelang es mir nicht, diese Frage zu unterdrücken.
Ohne mich anzusehen antwortete mein Freund langsam: „Ich wollte es dir sagen, bevor ich gehe…“
Stumm sahen wir einander an. Lange. Sehr lange.
„Werdet ihr ohne mich zurechtkommen?“ Krister nahm Abschied. Ich kämpfte mit den Tränen. „Noch nie habe ich den Tod so nahe gespürt wie heute Abend. Jack, mein Freund, mit mir wird es nicht mehr lange gutgehen.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die tausendmal erahnte Furcht vor dem unausweichlichen Verlust überraschte mit neuartiger Intensität. Sollte dieser lange gefürchtete Moment jetzt in der Tat eintreten? Wie wenig vorbereitet ich darauf war! Gab es überhaupt eine Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten? Was hätte ich tun können, um diesen Fall zu mildern? Vorsichtig, als könnte ich ihn zerbrechen, nahm ich Krister in den Arm. Unter normalen Umständen hätte er sich heftig gegen Zuneigungsbekundungen dieser Art gewehrt, doch selbst dazu fehlten ihm jetzt die Kräfte.
„Euch zurücklassen zu müssen ist wie ein Versagen“, fuhr er leise fort. Schwach umklammerte er meine Hand, die auf seiner Schulter ruhte. „Ich werde es mir niemals vergeben können.“
Ein dicker Kloß schnürte mir den Schlund ab. Unfähig ein Wort zu sagen, sah ich ihn nur unentwegt an.
„Kein Grund zu trauern. Ich will nicht, dass ihr um mich weint. Ich will nicht, hörst du? Es gibt keinen Grund dazu. Denkt an die schönen Zeiten und lächelt.“
An jenem letzten Abend verbrannte der Fisch zu schwarzer Kohle.
In der Nacht starb Krister. Ich fand ihn im Morgengrauen friedlich in seinem Bett liegend. Er sah aus, als schliefe er. Und irgendwie schlief er auch. Er schlief bis ans Ende der Zeit.
Weder Luke noch ich erfüllten seinen letzten Wunsch.
Auf den Tag genau sechs Jahre später verließ mich Luke. Welches Siechtum auch immer ihn befallen hatte, ich war erleichtert, als er den letzten Atemzug tat und die Schmerzen endlich von ihm wichen. Bis zuletzt verbrachte er den Großteil seiner Zeit in der Natur, auch wenn ihm das Gehen zuweilen schwerfiel. Ich glaube, der Abschied von seinen angebeteten Gärten fiel ihm schwerer als von mir. Kurz vor seinem Ende vertraute er mir (wie damals Krister) etwas an, das er seit vielen Jahren mit sich herumschleppte und nicht zu sagen gewagt hatte.
Nun tat er es.
„Jack… erinnerst du dich noch an den Tag, an dem dein Boot verschwand? Dein Boot, das uns nach Hyperion bringen sollte?“ Er wandte den Blick ab.
„Ja, ich erinnere mich. Was willst du mir sagen?“
Luke schluckte umständlich.
„Ich wollte es dir immer sagen, fand aber nie den Mut dazu. Ich denke, ich sollte es nicht länger hinauszögern.“ Er lächelte schwach. Aufmunternd drückte ich seine kalte Hand. „In jener Nacht habe ich dein Boot in die Bucht hinausgezogen und dort… und dort versenkt. Jetzt weißt du es endlich. Ich bin es gewesen.“
Was empfand ich bei diesen Worten? Wenig. Zu lange lagen die Ereignisse zurück, zu viel war seitdem geschehen, als dass sie noch irgendeine Regung auslösen konnten. Immerhin
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