Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
alljährlichen Herbststürme stießen Krister und ich auf den einzigen Beweis ehemaliger menschlicher Präsenz. Die kleine Kimberley-Insel in der südöstlichen December Bay verhalf seiner ersterbenden Hoffnung noch einmal zu neuer Nahrung. In einer feuchtkalten Höhle in unmittelbarer Küstennähe fand er die Reste eines alten Stiefels. Das angegriffene, poröse Leder wies bereits starke Auflösungserscheinungen auf, es mochte am Ende schon Jahre hier liegen. Die Sohle fehlte gänzlich. Triumphierend hielt er ihn mir entgegen. Seine Augen funkelten wild.
„Ich wusste es!“ rief er endlich. „Ich wusste es! Irgendwann mussten wir ja etwas finden!“
Sorgfältig nahm er den Schuh in Augenschein, als könnte er dadurch seinen ehemaligen Besitzer feststellen. Es tat weh, meinen Freund immer noch so hoffnungsfroh zu sehen. Wie viele Enttäuschungen ertrug ein Mensch, bevor er endlich die Wahrheit akzeptierte?
Die folgenden beiden Tage umsegelten wir langsam und gemächlich die gesamte Insel, fanden aber keine weiteren Spuren mehr. Ich sah Kristers letzte Zuversicht schwinden, die er an den Resten eines vergammelten Schuhs festmachte, der aller Wahrscheinlichkeit mit der Flut irgendwann hier angetrieben worden war. Jede Bucht, die wir ergebnislos verließen, nahm ihm ein weiteres Stück Glauben.
Nach ergebnislosem Vorstoß ins Innere des steinigen und nur spärlich bewachsenen Eilands kehrten wir an die Nordostspitze zurück, an welcher das Boot festgemacht lag, und verbrachten dort die Nacht. Zu allem Überfluss verschlechterte sich das Wetter. Bei Morgengrauen setzte Regen ein, die See jedoch blieb erstaunlich still. Angesichts der widrigen Umstände verzichtete Krister auf eine Exkursion in die Otago Bay. Er wirkte müde und ausgelaugt, um nicht zu sagen elend. Sein Geist litt unermesslich. In jenen Tagen fürchtete ich ernsthaft um sein Leben.
Nach der Heimkehr erkrankte Krister schwer. Weder Luke noch ich wussten, was zu tun war. Wir sorgten uns um ihn, so gut wir konnten, zwangen ihn zu essen und zu trinken, als er jede Nahrungsaufnahme verweigerte und nur noch apathisch auf seinem Ruhelager vor sich hin vegetierte. Lange Wochen hing sein Überleben am seidenen Faden. Luke teilte meine Überzeugung ob Kristers körperlicher Unversehrtheit. Wenn es ihm nicht selbst gelang, sein siechendes Gemüt zu heilen, würden wir ihn verlieren. Ein wahrlich unerträglicher Gedanke, mit dem wir uns anzufreunden hatten.
In den langen und dunklen Wochen des Winters wurde das Bangen zu einem täglichen Begleiter. Wenn nur einmal endlich die Sonne schiene! Ihre wärmenden Strahlen würden dem Patienen gut tun. Doch das Zentralgestirn zeigte sich äußerst selten – und wenn dann nur kurzfristig. Zudem waren die Außentemperaturen viel zu niedrig, um Krister auch nur eine Minute nach draußen zu bringen.
Luke kümmerte sich aufopferungsvoll um den kranken Bruder, dessen Konstitution auf niedrigem Niveau dümpelte. Krister dämmerte die meiste Zeit in traumartigem Zustand vor sich hin, mal mit geschlossenen, mal mit wachen Augen. Tagein und tagaus sprach Luke zu ihm, hielt ihn auf dem Laufenden, berichtete was draußen geschah. Die Geschichten vom täglichen Fischen im gefrorenen Eisbach und Schlagen von Feuerholz mussten ihn ebenso langweilen wie mich. Es schien allerdings so, als verstünde er kein Wort davon. Nicht ein einziges Mal reagierte er merklich darauf. Doch Luke gab nicht auf. Er fürchtete seinen Bruder zu verlieren, sollte er den Kontakt nicht so innig wie nur möglich aufrecht erhalten.
An einem sonnigen Morgen im beginnenden Frühling fanden wir Kristers Bettstatt leer vor. Barfuß und nur in seine Decke gewickelt stand er mit blau verfärbten Füßen bis zu den Knöcheln im eiskalten Seewasser unten am Strand und blickte starr auf den rauschenden Ozean hinaus. Luke und ich gingen auf ihn zu, den Augen kaum trauend.
„Wir sind allein“, flüsterte er ohne uns anzusehen. „Völlig allein.“
Es waren die ersten Worte, die er seit Monaten gesprochen hatte. Seine Stimme wieder zu hören trieb mir Freudentränen in die Augen. Sacht legte ich eine Hand auf seine knochige Schulter. Krister hatte die Realität endlich akzeptiert. Seine vollkommene Genesung nahm noch längere Zeit in Anspruch. Äußerlich war er der gleiche geblieben. Innerlich jedoch hatte sich großer Wandel vollzogen. Seine Phasen der Schweigsamkeit mutierten zur Normalität. Ihn reden zu hören grenzte schon an ein kleines Wunder. Hin und
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