Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Gedanken, die gespannte Fangleine eigenmächtig zu durchtrennen, schreckte aber davor zurück. Der Rückschlag eines derart unter Spannung stehenden Strangs konnte durchaus gefährlicher sein als der Riese am anderen Ende.
Doch dann löste sich das Problem auf ganz andere Weise. Die Leine entspannte sich unvermittelt, was eigentlich nur bedeuten konnte, dass der wieder untergetauchte Karsar Kurs auf das Boot nahm. Da er einige Meter Leine gewonnen hatte, war dies durchaus möglich. Vielleicht befand er sich direkt unter unserem Boot und strebte langsam der Wasseroberfläche entgegen, bereit sich zum letzten Duell zu stellen. Wir standen da und warteten, was geschehen würde.
Hatte schon jemals ein angeschlagener Karsar ein Fischerboot attackiert? Viele Geschichten fielen mir ein, von denen ich die meisten getrost als Seemannsgarn abtun konnte. Mit seinen mächtigen Falchions durfte ein Karsar sehr wohl in der Lage sein, einen Menschen aufzuspießen. Ein Boot ernsthaft zu beschädigen oder gar zum Kentern zu bringen, traute ich ihm jedoch nicht zu.
Die Spannung stieg, und auch mich ergriff wider besseres Wissen die pure Jagdwut. Das Tier hatte sich entschlossen, den Kampf zu Ende zu bringen, eine Situation, die sich nur schwer beschreiben ließ. Die Gesetze der Vernunft waren ausgeschaltet, jetzt galt es einzig und allein, das Biest zu erledigen.
Eine weitere Minute verstrich – nichts passierte.
Krister hatte wieder damit begonnen, Leine einzuholen und hielt schließlich ungläubigen Blickes das abgetrennte Ende in seinen wunden Händen. Keine Spur mehr von dem kapitalen Karsar, der eben noch an seinem Haken gehangen hatte. Dem Fisch war es tatsächlich gelungen, den Strang, der ihn gefangen hielt, zu kappen. Krister realisierte, was vorgefallen war und fluchte beinahe mitleiderregend. Nicht nur hatte er sich blutige Pfoten eingefangen, nein, auch sein kostbarster Angelhaken war auf Nimmerwiedersehen entschwunden. Übel gelaunt holte er wortlos die restlichen Fangleinen ein und spülte seine Wunden anschließend gründlich mit Meerwasser.
„Sind deine Hände in Ordnung?“ fragte ich ihn besorgt. Mein Jagdfieber war so schnell verschwunden, wie es mich gepackt hatte.
„Ach, nur ein paar Kratzer.“
„Lass mal sehen!“
Er sah mich an wie einen Wahnsinnigen. „Ich dachte eigentlich, meine Mutter hätten wir zuhause gelassen!“
Ich musste wider Willen grinsen. Krister schüttelte verständnislos den Kopf und widmete sich missmutig der geschundenen Ausrüstung.
Seine Stimmung hob sich erst wieder, als wir Kap Longreach erreichten. Die Aussicht auf die bevorstehende Jagd auf Stamarinas ließ ihn schon wieder lächeln. Auf sein Geheiß hin rückten wir nahe ans Festland heran. Das Donnern der Brandung nahm stetig zu. Wir segelten in sicherem Abstand und doch so nahe wie möglich die Felsenküste entlang, um unser Ziel nicht zu verpassen. Die Zufahrt in die versteckte Lagune war nach Kristers Worten nicht einfach zu finden und auch für das geübte Auge nur allzu leicht zu übersehen.
„Da ist sie! Da ist die Passage!“
Luke und ich glotzten uns die Augen aus dem Kopf, konnten aber beim besten Willen nichts erkennen.
„Wo denn?“
„Tja, meine Lieben, wie ich bereits sagte, die geheime Zufahrt kennen nur wenige. Und von hier aus sieht man sie auch noch nicht. Es ist die Formation der Felsen, die mir etwas sagt. Hinter diesen beiden hier, von denen der eine aussieht wie eine auf die Seite gedrehte Schildkröte, die mit den Beinen rudert? Seht ihr? Gut verborgen, nicht wahr? Wer nicht genau weiß, dass sich dahinter ein Geheimnis verbirgt, würde achtlos vorbeiziehen.“
Ich nickte zustimmend. Nichts, rein gar nichts ließ dies vermuten.
Wir hielten auf den Schildkrötenfelsen zu und änderten den Kurs nach steuerbord. Eine kleine Bucht öffnete sich, in die wir langsam hineinsegelten. Der Wellengang ließ nach. Noch immer keine Spur von dieser mysteriösen Durchfahrt. Ich fragte aber auch nicht danach. Krister wusste offenbar, wo sie sich befand, und ich konnte abwarten. Wir durchkreuzten die Bucht, uns dabei streng an ihrem Ostrand haltend.
Krister ließ das Segel fallen. Die enge Passage durch den Kanal, die er bereits mehrere Male gemeistert hatte, lag nun direkt vor uns. Aus dem Nichts war sie aufgetaucht. Steile Felsen ragten zu beiden Seiten empor. Tausende von Seevögeln schwebten kreischend über uns, stießen sich von ihren Nistplätzen ab und tauchten pfeilschnell in die See ein, um
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