September. Fata Morgana
rezitiert oder liest es ist
mein Deutsch eine ganz persönliche und doch zutiefst allgemeine Spiegelung in ihrem Gehirn die ersten fünf Jahre ihres Lebens sprach sie fast nur mit mir meine Muttersprache sie hat eine Vatersprache sie hat von mir fast jedes frühe Wort
Luftgebilde
Zeichen
das Herabfallen grüner Kastanienblätter
Wespen über einem vom Apfelsaft durchnässten Kassenzettel der sich vom Tisch löst und nun vorüberfliegt in Richtung Main ein sommerhimmelblauer Strom am anderen Ufer begrenzt von einer lang ausgezogenenReihe hoher Pappeln hinter denen mächtige Speicherhallen emporwachsen deren betongraue Fassaden in der Helligkeit seltsam zurückhaltend wie schon halb aufgelöst wirken (als wären sie schon Erinnerung) an einer Wand erkenne ich plötzlich die zugleich enorm vergrößerte und wie eine Fotoprojektion bei Tageslicht verblasste Werbung für Aurora diese Sonne auf rotem Grund die ich als Kind auf den Mehltüten in der Küche meiner Mutter sah
Sabrina entdeckt als Erste die Ginkobäume auf der Wiese hinter der Mühle als wir am Ufer auf die Frankfurter City zuwandern und findet auch gleich darauf einen kleinen Sandsteinsockel ohne Denkmal auf dem in goldenen Buchstaben ICH steht sie
postiert sich lachend darauf
wir haben keine Kamera dabei und obwohl wir es erwogen mochte keiner das kurze Stück zurück zum Hotel laufen und so gehen wir weiter im Frühsommerlicht auf die Bögen der Deutschherrnbrücke zu große gewölbte Mädchenhaarspangen aneinandergelegt über den Main
dahinter die moderne Skyline die aus einem guten Dutzend wie rasch zusammengeschobener Hochhäuser besteht das höchste scheint einen Arm zu heben zum Hitlergruß sagt Luisa oder als wolle es die Flugzeuge aufhalten die sich in den blauen Himmel
brennen
Sabrina ging weit voraus sie war ja die Dritte so erwachsen nun dass sie sich auch an meiner Seite immer wieder als Störung eines Paares empfand und ich war über ihre Absonderung in diesem Moment ganz froh weil ich das Bedürfnis hatte Luisa vom Überdruss an meiner Arbeit zu erzählen der unter den Bäumen vor der Gerbermühle noch stärker geworden zu sein schien es war vielleicht nur jene Müdigkeit die schon immer ein gutes Stück vor dem Ende eines Projekts die Kräfte erlahmen lässt den Schwung nimmt den Zweifeln das Feld räumt oder ich hatte einfach keine Lust mehr
auf Marianne
und noch eine törichte zahnlose Liebe des Alten
schick ihm einen Pornofilm und ein flinkes auf siebzehn gestyltes zwanzigjähriges Kind aus Istanbul vom Frankfurter Hauptbahnhof zurück mit dem Sturm der Zeit der aus der Zukunft weht
es schien mir als wäre ich selbst von all diesen Frauen geschieden undsollte sie nun einzeln wiedersehen und ausführlich beschreiben (nach mehr als einem Jahrhundert)
Torschlusspanik sagte Luisa nachts
in einem der altfränkischen althessischen Doppelbetten des Hotels neben der Mühle in dem wir unter gewaltigen Kissen wie von weichen Himmelskörpern erschlagen seltsam distanziert nebeneinanderlagen (Sabrina in einem Einzelzimmer im unteren Stock)
dieses ganze sentimentalistisch verfälschte orientalische Zeug diese blöden Kostümierungen als Jussuph und Suleika diese falschen Turbane getürkten Prophetensprüche dahingemalten arabischen Sentenzen die handbestickten Sultanspantoffeln die immergrünen Kautschukzypressen die Chiffre-Bilder gelegt aus den Knochen des armen alten genialischen Hafis
entspann dich doch sagte Luisa unter ihrer massigen Wolke
in Granada wird dir alles leichter fallen und klar werden lass dich treiben
im Sturm
Ach, um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide:
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide.
Tarik
Der blöde alte Witz: Schalom Moschel
sagte mein Bruder Munir vergnügt aber sehr leise in mein Ohr als er mich 1974 am Flughafen umarmte und mich fröhlich in die Rippen stieß um dann eine ehrfürchtige Verbeugung vor Faridas Sechsmonatsbauch zu machen
der Kreis schließt sich (die Halsschelle die du noch nicht bemerkst) unsere Ankunft in Bagdad zu dritt meine einsame Abreise sieben Jahre zuvor alles verläuft anders als geplant und doch auch wieder nicht
1974 die Wiederankunft
der Aufbruch 1967 ich hatte den Wehrdienst hinter mich gebracht jene erschöpfenden Monate im Norden bei Hatra und dann die langweilige Zeit im Süden in müden alten Städten unter Dattelpalmen und sepiafarbenen Wandbildern der Helden der Revolution und Farbfotografien von
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