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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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sagen
    es gab einmal einen Traum vom befreiten sozialistischen und demokratischen unabhängigen und vereinten modernen selbstbewussten Arabien zwischen den Machtblöcken über die vom englischen und französischen Kolonialismus rücksichtslos gezogenen Grenzen hinweg es war ein moderner politischer von Europa inspirierter Traum eine Art vorgezogene sozialistische EU ohne den entsetzlichen Geburtsschmerz den Europa sich in jenen zwei Kriegen bereitet hatte deren ungeheure Leichenberge wir blutrünstige Araber nur fassungslos betrachten konnten und in denen wir nicht mehr waren als Spielball Nebenkriegsschauplatz Rohstofflieferant
    jener Traum war
    wahrscheinlich schon verspielt (wenn überhaupt je zu realisieren) bevor der Krieg gegen Israel begann und nun war es (vielleicht) einfach nur so
    dass der ägyptische PRÄSIDENT (bis über die Ohren all seiner Untertanen verschuldet) dem amerikanischen PRÄSIDENTEN (schon bis über die Ohren im Vietnam-Schlamassel) gegrollt hatte weil er ihm keinen Weizen mehr für sein Brot schicken wollte da er dem ägyptischen PRÄSIDENTEN wegen seiner Neigung zum sowjetischen PRÄSIDENTEN böse gewesen war und nun die ägyptischen MASSEN hungerten und der PRÄSIDENT ihnen die Mäuler hatte stopfen wollen indem er ihnen zeigte dass er noch immer 1000 mal größer und arabischer war als der syrische PRÄSIDENT und der grimmige KÖNIG der Saudis (der demnächst mit seinem ÖL die Bühne überfluten würde) und also dem israelischen PREMIER den Golf von Aqaba und den schönen Erdölhafen daran weggesperrt hatte und so schlimm mit dem Säbel weiterrasselte dass dieser fürchten musste man greife sein Land an oder wenigstens allen im Westen klarmachen konnte dass er dies wirklich habe fürchten müssen während der ägyptische PRÄSIDENT wahrscheinlich gedacht hatte dass er selbst doch eher nicht angegriffen werden würde aber wenn dann vielleicht sogar gewinnen könnte wegen seiner aus der UdSSR stammenden Luftwaffe vor der sich der israelische PREMIER wohl wirklich fürchtete da sie womöglich gar seinen Atomreaktor zerschießen konnte so dass er also vorsorglich die gesamte ägyptische Luftwaffe zerschoss am frühen Morgen im Wüstensand
    die NIEDERLAGE schmerzte
    den großen symbolischen Organismus der Araber
    indem sie zeigte dass es ihn in Wirklichkeit nicht gab wenigstens nicht als politisch einstimmige und militärischen Erfolg versprechende Größe ich studierte wieder Medizin ich hörte auf an solche Schmerzen zu glauben ich glaubte (einige Monate später als die Schleier gefallen waren) an den Tod von zehntausend ägyptischen Soldaten die zwischen den Schrotthaufen von sowjetischen Panzern und zerschossenen MiGs starben ich glaubte an das Elend weiterer Hunderttausender palästinensischer Flüchtlinge die sich über die Schlachtfelder nach Jordanien schleppten viele schon in ihrer Vertreibung nach der Vertreibung von der Katastrophe in die Niederlage ich glaubte an das Wirkliche an die Besetzung des Gazastreifens des Westjordanlandes des Sinai und dass dies schwärende Wunden sein würden
    aber für wen und für wen von welcher Art
    tatsächliche blutende Wunden nicht für alle Araber sondern für die Palästinenser und die arabischen Nachbarstaaten die es in der Folgezeit direkt betraf
    symbolische Wunden
    dagegen für uns die Wunde der Ohnmacht des Schuldgefühls und des immer wieder verletzten Stolzes die Wunde der Unfähigkeit den Palästinensern zu helfen (bis auf den heutigen Tag) wie damals in jenem mit Soldaten überfüllten Zug in dem ich versehentlich einem alten Mann auf die Hand trat der im Gedränge einen Herzanfall erlitten hatte und niederstürzte und den ich nicht retten konnte schon gar nicht mit meinem verworrenen Wunsch auf einer der Nachschublinien nach Syrien mein Leben zu lassen oder einfach irgendwohin geschleudert zu werden obgleich ich doch Farida liebte die wütend zuhause auf mich wartete
    gelernt habe ich damals vor allem die Konjugation der Ohnmacht also zu unterscheiden zwischen der Ohnmacht zu vernichten der Ohnmacht zu rächen und schließlich der Ohnmacht zu helfen die auch für den Friedlichsten noch übrigbleibt
    still (aber endgültig) schloss ich daraus
    dass man die Mäuler der MASSEN mit Brot füttern muss statt ihre symbolischen Wunden mit Salz
    fanatisch begann ich zu glauben
    dass man die tatsächlichen Wunden verbinden solle statt sie mit dem Blut der Gegner trostlos und infektiös zu tränken
    verständnisvoll hörte und höre ich den

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