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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Abd al-Salam Arif dem Flugkünstler der den ägyptischen Adler auf dem irakischen Staatswappen hatte landen lassen und mit dem Hubschrauber abstürzte kaum dass ich in eine Sanitätseinheit versetzt worden war (weil mir ein freundlicher Oberst geglaubt hatte dass ich tatsächlich Medizin studieren wollte) und so hatte ich Glück denn der schwache ältere Bruder und Nachfolger von Abd al-Salam zeigte sofort seine nicht vorhandene Stärke und ließ Bomben auf kurdische Dörfer im Norden werfen wovon er sich als Fußballzuschauer erholte vor Hotelfernsehern in Istanbul ich jedenfalls kam mit heiler Haut aus der Langeweile zurück ich studierte ein Semester in Bagdad
    ich heiratete
    die samtäugige willensstarke störrische kluge lesende Kindergärtnerin die ich fünf Monate lang einmal in der Woche vor den Buchauslagen in der von Papier und Binderleim Blattgold Tinte Dichterwahn Philosophenweisheitüberspülten verwinkelten Gasse des Suk as-Saray sah und nicht anzustarren versuchte als sie Camus und Ibn Arabi kaufte bis sie mich fragte ob wir
    nicht
    in einem Buch verschwinden könnten dachte ich
    aber sie fragte ob ich nicht auch fände
    dass
    unsere Mütter miteinander sprechen sollten
    beinahe wäre ich auf den Rücken gefallen ich war einundzwanzig (sie neunzehn) aber das
    Gespinst
    der Liebe hielt mich aufrecht ohne viel Worte die Blicke brauchten keinen Dolmetscher ich hatte jahrelang Französisch gelernt weil es schon immer festgestanden hatte dass ich zu einem einflussreichen Geschäftsfreund meines Vaters nach Paris gehen würde der mir einen Studienplatz eine düstere Wohnung ein altes verbeultes Auto eine wundervolle junge Frau und vielleicht noch Kinder besorgen konnte (und dem ich dann doch einiges davon abnahm) alles das gefiel mir nun gar nicht mehr nach dem einzigen und entscheidenden Gespräch mit Farida auf dem Suk aber kurz darauf musste mir mein Vater eröffnen dass es mit seinen Finanzen nicht mehr zum Besten stand seit er sein letztes Geld aus dem Seidenhandel in eine für ihn völlig neue Branche investiert hatte erst in zwei drei Jahren also könnte ich wenn alles gut liefe doch noch nach Frankreich gehen
    so hatte er kein Argument gegen die sofortige Heirat mit Farida aber er suchte auch keines sondern verstand meinen absoluten Ernst der sich nie geändert hat wenn du Glück hast dann geschieht es dir dass du vor einer Frau stehst und ohne ein Wort sogleich alles klar und beschlossen ist Medschnun und Laila und Chosrau und Schirin und Jussuph und Suleika regen sich in dir (und wollen dein Leben) ich aber bin für
    Dschamil und Buthaina
    die gemeinsam liebend alt wurden (für was hat man schließlich studiert möchte man in dieser Angelegenheit sagen)
    Farida sechsundzwanzigjährig selbstbewusst fast angriffslustig schön und perfekt ruhig und stark trägt unter der Haut die Frucht unserer schon siebenjährigen Liebe verborgen Jasmin (die später behaupten wirdsie habe sechs Jahre lang im Himmel gewartet bis wir uns entschlossen Frankreich zu verlassen und nachhause zu gehen) schwimmt kopfüber nach Bagdad 1974 am Flughafen bei unserer Rückkehr meine Schwägerin Amal hakt Farida unter mein Bruder geht mit mir Arm in Arm wie läuft das Geschäft frage ich Transistoren sagt Munir und auch immer mehr Fernsehapparate jedenfalls nicht mehr die alten Röhrendinger
    nicht mehr Nasser sondern Sadat sagt Munir und auch hier ist vieles anders als damals
    1967
    Radios Stimmen
    Ahmad Hassan al-Bakr Frank Sinatra Gamal Abden-Nasser Umm Kulthum
    verwoben mit den Rufen der Muezzin
    etwas würde passieren es würde Ereignisse von historischer Tragweite geben Offiziere waren nach Bagdad zurückgekehrt die vor Kurzem erst ihrer Putschabsichten wegen hatten fliehen müssen
    wir klebten aufeinander die Universität war ein Bienenstock frisch verheiratet und hungrig nach Büchern und Gesprächen taumelte ich über den Campus ich wollte lernen und verstehen ich wollte durchaus den menschlichen Körper studieren (Faridas unglaublich sanfter weißer Planet jede Nacht) ich hatte jedoch aufgehört Französisch zu lernen und versuchte Butrus al-Bustani und Salama Musa zu lesen die Romane von Mahfus neben Sartre und Trotzki auch die marxistischen ägyptischen Schriftsteller der jüngeren Zeit aber ich war und bin politisch ziemlich ungeeignet sogar als Leser ich glaube nicht genügend an die Möglichkeit große Menschenmassen direkt ins Paradies auf Erden zu steuern und all diese Gedankenflüge über die Völker und ihre

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