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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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erinnere mich
    an einige Augenblicke oder Herzschläge eine halbe Minute vielleicht
    in der wir plötzlich zu zweit im Löwenhof der Alhambra standen völlig losgelöst vom Touristenstrom ein glücklicher Zufall der Leere der uns (verwirrt) allein ließ auf dem sonnigen steingepflasterten Areal zwischen den mit spitzen Dächern gedeckten Säulengängen
    alles (auch der Brunnen im Zentrum) ist kleiner (intimer) als wir es erwartet hatten
    persönlicher
    als wäre das Paradies nur ein lichtdurchfluteter Saal
    Luisa erscheint mir perfekt und vollkommen in der Stille des im Rankenwerk der Säulenkapitelle spielenden Lichts mit ihrem schwarz glänzenden Haar der festen Brust der roten Bluse der schwarzen Hose den Lederschuhen in denen sie Flamenco tanzen könnte sie ist am richtigen Ort denke ich einen falschen glücklichen Augenblick lang so wie man sich wohl gerne Illusionen macht über die Harmonie das Verständnis die Toleranz das gedeihliche Miteinander der Kulturen im Andalusien der arabischen Herrschaft
    es gibt immer
    den Palast und die schwitzenden stöhnenden blutenden Fundamente unter ihm deren Sehnsüchte er spiegelt im Gold des Innenhofs – für noch einen unwahrscheinlichen Moment der Stille – scheint es mir plötzlich als würden Luisa und ich
    durchstrahlt
    (geprüft geröntgt) von einem Licht das keine Stelle an uns verborgen lässt das durch unsere Zellen flutet bis an die schmerzliche erlösende Grenze der Veränderung
    Flüchtlinge aus der alten Welt ein bald müde werdendes spätes Pärchen das Glück hatte sich noch zu finden
    im Licht eines Ortes an dem wir nicht sein können
    unser Paradies
    ist nur noch
    nicht zu wissen
    was kommt

 
    Muna
     
    Dass du solche Geschichten erfinden kannst
    sagt Huda
    ist doch verrückt
    unter dem Bett der eigenen Schwester ganz wie Dinarasad aber etwas ist doch auch dran oder nicht deine Schwester kennt doch Leute beim Militär und wenn man in der Ölindustrie arbeitet
    sagt meine Mutter sagt Huda
    kann man nicht sauber bleiben das Öl
    kriecht unter die Finger zwischen die Haarwurzeln läuft dir in die Ohren die Nasenlöcher in die aufgerissenen Augen den Mund stell dir vor du wärst ein Taucher im Öl mit nacktem bleichen Körper Taucherbrille Sauerstoffflasche natürlich mit einer starken Taschenlampe du sagst dir das Öl das sind vor Jahrmillionen gestorbene Pflanzen und Tiere du tauchst
    vielleicht weil man dich in eines der Bohrlöcher gesenkt hat bei Mossul oder Kirkuk und du (als Wissenschaftlerin) untersuchen sollst ob noch mehr noch schwereres und köstlicheres Öl tief unter der letzten Quelle existiert du tauchst
    Huda
    neben mir auf dem Sofa wir haben die steifen Schuluniformen ausgezogen wir tragen jetzt Stöckelschuhe Jeansröcke und Seidenstrümpfe mit glitzernden Fäden durchzogene knappe Pullover darunter BHs die wie all diese Kleider von einer der Shopping-Touren stammen die Hudas Mutter regelmäßig in Amman und Beirut unternimmt
    um sich zu trösten
    sagt Huda heute schminken wir uns nicht wir tanzen auch nicht wie sonst hier des Öfteren in der geräumigen Dienstwohnung in der Nähe des Nationalmuseums über einem der Außendepots wo wir keine Angsthaben müssen jemanden zu stören (unter uns nur die in großen Kisten in Holzwolle erstickten Steinköpfe aus Uruk jene Frauen mit den durchgezogenen Augenbrauen über den leeren Höhlen 5000 Jahre ohne Blick oder ist es die Stadtgöttin Ianna selbst die nach innen sieht und uns hineinsaugt in den Abgrund der Frühzeit) oder jemanden zu erregen jemand anderen als uns selbst wenn wir manchmal zwei Stunden lang tanzen herumhüpfen springen in dem weiß gekalkten kleinfenstrigen Raum neben Hudas Zimmer ein Raum ohne nähere Bestimmung weil er einmal als Erholungszimmer für Hudas Mutter gedacht war die sich aber nie erholt unser heimlicher kahler hallender Club in dem unsere eingemauerte Hitze manchmal so groß wird dass man jeden Augenblick mit
    SEX
    rechnet in irgendeiner bedrohenden aber doch auch wundersamen körperlosen Form
    auf der Hochzeit deiner Schwester wie verrückt bist du wirklich unter das Bett gekrochen wie als Kind oder hast du das auch erfunden
    möchte Huda wissen beide haben wir die Füße mit den Stöckelschuhen auf Stühle vor dem längs zur Wand stehenden Sofa gelegt und starren an uns herab wie in eine andere Welt
    ich kroch wirklich
    unter das Bett meiner Großeltern in ihrem Haus in Wasiriya während der Hochzeit wenn auch nur für kurze Minuten in denen mir die Idee zu

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