September. Fata Morgana
erinnere mich
an einige Augenblicke oder Herzschläge eine halbe Minute vielleicht
in der wir plötzlich zu zweit im Löwenhof der Alhambra standen völlig losgelöst vom Touristenstrom ein glücklicher Zufall der Leere der uns (verwirrt) allein ließ auf dem sonnigen steingepflasterten Areal zwischen den mit spitzen Dächern gedeckten Säulengängen
alles (auch der Brunnen im Zentrum) ist kleiner (intimer) als wir es erwartet hatten
persönlicher
als wäre das Paradies nur ein lichtdurchfluteter Saal
Luisa erscheint mir perfekt und vollkommen in der Stille des im Rankenwerk der Säulenkapitelle spielenden Lichts mit ihrem schwarz glänzenden Haar der festen Brust der roten Bluse der schwarzen Hose den Lederschuhen in denen sie Flamenco tanzen könnte sie ist am richtigen Ort denke ich einen falschen glücklichen Augenblick lang so wie man sich wohl gerne Illusionen macht über die Harmonie das Verständnis die Toleranz das gedeihliche Miteinander der Kulturen im Andalusien der arabischen Herrschaft
es gibt immer
den Palast und die schwitzenden stöhnenden blutenden Fundamente unter ihm deren Sehnsüchte er spiegelt im Gold des Innenhofs – für noch einen unwahrscheinlichen Moment der Stille – scheint es mir plötzlich als würden Luisa und ich
durchstrahlt
(geprüft geröntgt) von einem Licht das keine Stelle an uns verborgen lässt das durch unsere Zellen flutet bis an die schmerzliche erlösende Grenze der Veränderung
Flüchtlinge aus der alten Welt ein bald müde werdendes spätes Pärchen das Glück hatte sich noch zu finden
im Licht eines Ortes an dem wir nicht sein können
unser Paradies
ist nur noch
nicht zu wissen
was kommt
Muna
Dass du solche Geschichten erfinden kannst
sagt Huda
ist doch verrückt
unter dem Bett der eigenen Schwester ganz wie Dinarasad aber etwas ist doch auch dran oder nicht deine Schwester kennt doch Leute beim Militär und wenn man in der Ölindustrie arbeitet
sagt meine Mutter sagt Huda
kann man nicht sauber bleiben das Öl
kriecht unter die Finger zwischen die Haarwurzeln läuft dir in die Ohren die Nasenlöcher in die aufgerissenen Augen den Mund stell dir vor du wärst ein Taucher im Öl mit nacktem bleichen Körper Taucherbrille Sauerstoffflasche natürlich mit einer starken Taschenlampe du sagst dir das Öl das sind vor Jahrmillionen gestorbene Pflanzen und Tiere du tauchst
vielleicht weil man dich in eines der Bohrlöcher gesenkt hat bei Mossul oder Kirkuk und du (als Wissenschaftlerin) untersuchen sollst ob noch mehr noch schwereres und köstlicheres Öl tief unter der letzten Quelle existiert du tauchst
Huda
neben mir auf dem Sofa wir haben die steifen Schuluniformen ausgezogen wir tragen jetzt Stöckelschuhe Jeansröcke und Seidenstrümpfe mit glitzernden Fäden durchzogene knappe Pullover darunter BHs die wie all diese Kleider von einer der Shopping-Touren stammen die Hudas Mutter regelmäßig in Amman und Beirut unternimmt
um sich zu trösten
sagt Huda heute schminken wir uns nicht wir tanzen auch nicht wie sonst hier des Öfteren in der geräumigen Dienstwohnung in der Nähe des Nationalmuseums über einem der Außendepots wo wir keine Angsthaben müssen jemanden zu stören (unter uns nur die in großen Kisten in Holzwolle erstickten Steinköpfe aus Uruk jene Frauen mit den durchgezogenen Augenbrauen über den leeren Höhlen 5000 Jahre ohne Blick oder ist es die Stadtgöttin Ianna selbst die nach innen sieht und uns hineinsaugt in den Abgrund der Frühzeit) oder jemanden zu erregen jemand anderen als uns selbst wenn wir manchmal zwei Stunden lang tanzen herumhüpfen springen in dem weiß gekalkten kleinfenstrigen Raum neben Hudas Zimmer ein Raum ohne nähere Bestimmung weil er einmal als Erholungszimmer für Hudas Mutter gedacht war die sich aber nie erholt unser heimlicher kahler hallender Club in dem unsere eingemauerte Hitze manchmal so groß wird dass man jeden Augenblick mit
SEX
rechnet in irgendeiner bedrohenden aber doch auch wundersamen körperlosen Form
auf der Hochzeit deiner Schwester wie verrückt bist du wirklich unter das Bett gekrochen wie als Kind oder hast du das auch erfunden
möchte Huda wissen beide haben wir die Füße mit den Stöckelschuhen auf Stühle vor dem längs zur Wand stehenden Sofa gelegt und starren an uns herab wie in eine andere Welt
ich kroch wirklich
unter das Bett meiner Großeltern in ihrem Haus in Wasiriya während der Hochzeit wenn auch nur für kurze Minuten in denen mir die Idee zu
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