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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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vollkommen müheloses leichtes
    Verstehen
    es ist nicht nötig zu sagen was ich erst allmählich begreife nämlich dass ich wohl
    die Schwebe
    aufrecht – waagerecht – die Möwe auf einer unsichtbaren nervösen kippeligen Schaukel über den Dächern der Holzhäuser
    halten will das
    Versprechen unseres Aufbruchs das Gefühl dass alles dass das Bestmögliche zwischen uns geschehen wird morgen nein wohl frühestens in drei Tagen wenn wir mit dem Greyhound-Bus Los Angeles erreicht haben werden auf dem Weg zum Bahnhof trägt Eric meinen Rucksack ich sehe mich so klar und deutlich noch einmal im Wohnzimmer des Sommerhauses ganz genau an der Stelle an der ich vor Erics Läuten stand als wäre ich noch dort
    in einer anderen Zeit aus der ich nicht mehr
    fliehen kann
    Leave your shadows
    heißt es im Refrain des ersten Songtextes den ich für Eric geschrieben habe er ist nicht sonderlich gut geworden aber wenn Eric das Lied singt wird er so stimmig und scheinbar unabänderlich dass ich heulen könnte aber das ist nicht nötig an diesem sonnigen Nachmittag in East Hampton an dem wir Hand in Hand zur Bahnstation gehen ich bin noch immer erregt und gespannt und zufrieden zugleich
    Erics dunkelblonde Haare wehen ihm in die Augen die Handbewegung mit der er sie aus dem Gesicht streicht wirkt unbeholfen wegen des Rucksacks beinahe wie die Bewegung eines Tiefseetauchers oder Astronauten
    in der hellen Sommerluft durch die wir schwimmen
    oder schweben und es ist auch so dass ich jetzt konkret zurück möchte auf die Couch im Wohnzimmer und das vollkommen Wirkliche möchte bis zu diesem unterirdischen Schlagen Zucken einer fremden wilden Ader in mir
    woher
    nimmt er nehme ich das alles wir sind doch nur Fahrrad gefahren haben uns einen Frisbee zugeworfen schwammen faulenzten am Strand lasen uns vor sangen zu seiner Gitarre er hat einen Platz für Jazz- und Sologitarre an einem Konservatorium in L.A. er will in einer Band spielen er will sich ablösen von East Hampton von seiner überherzlichen ondulierten Mutter und seinem Vater dem hohen Polizeibeamten und seinemälteren Bruder der in der Army dient und stolz darauf ist den allerneuesten High-Tech-Panzer (STRIKER) zu fahren
    wir sind nicht
    irgendwo
    sondern in Amerika also
    glauben wir an uns Eric so hat man uns aufgezogen mit der Hand auf der Brust die Flagge der Freiheit besingend wir müssen uns selbst definieren und irgendetwas in Erics lässiger und doch bestimmter Art sagt mir dass er nicht nur ein Traumtänzer ist sondern immer Mittel und Wege finden wird wenigstens einen Teil der Träume zur Erde zu holen
    die du doch studierst
    er liebt es das zu sagen und auch dass die Erde sogar in Kalifornien existiere ja dass ich sie gerade dort wo sie ja äußerst lebendig sei noch besser erforschen könne er sagte auch er bräuchte die Gravitation meiner Bücher und meine deutsche
    Nach-Denklichkeit
    (das Wort brachte ich ihm bei)
    im Sonnenlicht
    lehnen wir aneinander am Bahnsteig
    in unseren Körpern lodert eine Flamme auf
    die überschlägt
    und uns verbindet als hätten wir keine Kleider keine trennende Haut
    schon fährt der Long-Island-Zug ein das Quietschen Fauchen und Zischen eines höheren (stärkeren) Wesens überragt uns (nur eine Maschine) küss mich Eric
    öffne die Augen
    die gelb gestreifte Front der Lok dann
    eine verschmierte blaue Eisenwand

 
    Martin
     
    Es sind nur noch zwei Meilen zu laufen
    ein (Sabrinas) Kinderleben lang benötigte ich bis mir das Denken in Meilen Fuß Zoll selbstverständlich wurde die Bürotürme der UMass ragen wie Burgzinnen hinter fahl himbeerroten Sportplatzumzäunungen auf hinter denen sich undeutlich einige Frühsportler bewegen Studenten und Oberschüler wie in großen Netzen gefangen von schrecklichen Fischkuttern der Luft die Bilder
    flirren vorbei verschwimmen verwischen zu
    Lichtfiguren der Regen an jenem Tag vor einem Jahr an dem ich Sabrina nach Boston fuhr
    endgültig wie ich immer wieder und wieder
    denken muss
    hörte plötzlich auf die Sonne brach schier gewaltsam hervor auf dem Fenster der Beifahrerseite das Sabrina zur Hälfte heruntergelassen hatte sah ich mit zerlaufenen Wassertropfen und kondensiertem Dampf gemalt
    in dieser Vergangenheit den Spiegel einer Vergangenheit
    die Silhouette der Alhambra wie Luisa und ich sie einen Monat zuvor vom Albacín-Viertel aus (auf einer Steinmauer neben einer weißen Kirche sitzend) erblickt hatten mächtig und doch gelassen auf ihrem ockerfarbenen Felssockel ruhend ich dachte

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