September. Fata Morgana
Aufregungen der ATTACKE verlorengegangen war und nach dessen Wiederauffinden sie dann nur langsam und widerwillig als müsse sie in einen eiskalten Raum gehen begriffen hatte
was der Anruf Sabrinas auf ihrer Mailbox bedeutete
2001–9-11 / 8.37 am
Sabrinas Stimme klingt müde aber auch vergnügt warmherzig freudig entschlossen
(es gibt dort Müdigkeit es gibt Grund zur Freude sie
tragen sich mit Plänen
was hätte ich anderes denken können)
an Julias mobile hing ein Schlüssel und ein kleiner Stofftiger der mir unerträglich wurde in den Minuten in denen ich drei Mal die kurze Nachricht abhörte
dass sie die erste Semesterwoche verpassen würde weil sie mit dem Jungen (Eric, du weißt schon) noch heute im Greyhound-Bus losfahre das erste Mal dass sie so weit mit einem Bus reise sie müsse nur noch kurz mit ihrer Mutter reden
vor deren Büro (vor der Glastür mit der milchtrüben Blende in Bauchhöhedie einen seltsamen Blick auf die Oberkörper und Gesichter dahinter freigab als bewegten sich lebendige Büsten dort) sie jetzt schon stünde sie telefoniere gerade und lege jetzt auf
See you, bye-bye!
Julia (füllig rothaarig mit regenfarbenen verweinten Augen) saß erschöpft vor mir an einem Starbucks-Cafétisch sie wollte mir die letzte Aufzeichnung von Sabrinas Stimme (nicht einmal zwanzig Sekunden) schenken irgendwie übereignen vielmehr aber sie steckte ja nicht in dem fliederfarbenen mobile mit dem Stofftiger und ich konnte ja auch nicht ständig auf ihre Mailbox zugreifen
wenn ich … die letzten Worte … stammelte Julia
nach einer stummen beklemmenden Minute verfielen wir auf die Idee Sabrinas Nachricht mit der Tonaufzeichnung meines Mobiltelefons zu kopieren aber es hatte gar keine solche Funktion also kaufte ich ein kleines Diktiergerät und wir setzten uns auf eine Bank im Central Park und hielten die Geräte gegeneinander
man hört dennoch das ferne Singen einer Amsel (es gibt Gärten dort aber nicht für die Mörder) ich wollte die Aufnahme nicht wiederholen es fiel Seymour aber gar nicht auf als er das kleine silberne Gerät ans Ohr hielt anstatt es lauter zu stellen
acht Minuten
wir brauchten nicht mehr zu recherchieren es war zu unwahrscheinlich die nördlich gelegenen Büros im 94. Stockwerk waren augenblicklich zerstört worden es dauerte nur eine halbe Sekunde bis das Flugzeug nach dem Durchschlagen der Fassade den Kern des Gebäudes mit den Fahrstuhlschächten erreicht hatte eigentlich in das Gebäude hineinschmolz alles in seiner Umgebung und sich selbst zerfetzend verdampfend in höchstens noch faustgroße glühende Stücke riss im Feuerball von 34 000 Litern brennendem Kerosin
es ist der Tod
in einem Atemzug der die Lungen mit Feuer ausfüllt sie hätte ausfüllen können sie aber mitsamt dem restlichen Körper schon zerstört hat bevor du es noch spürst
das Blau jenes klare scheinbar seidige Blau
erscheint an der Kernzone von Flammen der ganze Himmel jenes Tages (in dem ich immer wieder erwache und erwache) wäre so vielleichtbesser erklärt als Ausschnitt eines Brands einer Flamme über einem so großen Teil der Welt wo findest du
im September in der Stadt
noch einen Schmetterling
Muna
Man gibt mir ein Glas Sekt schließlich
bin ich schon über achtzehn auch ein zweites Glas wird mir nicht schaden so versichert mir mein aufgekratzter strahlender in seinem hellblauen Hemd schwitzender Schwager Kasim das 40 Jahre alte Geburtstagskind das mich und Sami seinen Gästen vorstellt mit der Bemerkung ich würde bald Abitur machen und zwar mit 120 von 100 möglichen Punkten ich trinke
vorsichtig
ich spreche wenig und wenn
dann ebenfalls vorsichtig sag nichts über London das ist das Einzige worum ich dich bitte
mein Vater
bevor er Sami und mich in das rot-weiße Taxi setzte nie würde er zu einem Empfang seiner älteren Tochter gehen und auch Farida ließ sich entschuldigen aber sie war dafür dass ich das leichte hellgrün glänzende Kleid anzog dass sie vor zwei Monaten mit mir kaufte für die Schulabschluss-Feier und für andere großartige Gelegenheiten
wie die Siegesfeierlichkeiten wenn wir Amerika erledigt haben meinte Tarik trocken
wer weiß wann du es wieder anziehen kannst sagte meine Mutter mit Tränen in den Augen und Nadeln zwischen den Zähnen nur noch diese Naht sie hat im Keller schon viele Regale mit Konserven Flaschen und Kanistern gefüllt sie glaubt fest an den Krieg sie wünscht ihn sich fast denke ich sie beschwört ihn herauf
es ist so
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