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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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dort suchten wo ich
    jetzt
    verlorengehen wollte vor eisigen Felswänden im Hindukusch in einem Dorf in Kafiristan (das hoch abgelegene Land der Ungläubigen das man erst um die Jahrhundertwende islamisierte und wer weiß wie erfolgreich) alle Behausungen sind morsch grau nass wie den schroffen Berghang hinabgeschüttet unmittelbar über dem reißenden Fluss kleben Hüttenaus schweren Holzbalken Lehm und darin verbackenen großen Steinen kartenhausartig übereinandergetürmte Hütten die in der Nässe und Kälte faulen sich im Rauch schwärzen verbunden durch Stiegen und sich biegende Gänge aus morschen Brettern du liegst dort
    krank fiebrig bereit zu gehen sogar in diesen wie erfrorenen vertikalen Himmel
    um den Preis dass
    Sabrina auferstehen dürfte um den Preis auch dass sie als
    Afghanin nur auferstehen könnte und
    kein Wort mit mir sprechen dürfte (weshalb komme ich darauf ein Teufelspakt was sonst aber selbst im Traum scheint mir nur noch dieser faustische Effekt realistisch)
    ein Mädchen das in einem hölzernen Türrahmen lehnt vor dem der Schnee hinabwirbelt als sollte alles in Minutenschnelle begraben werden aber sie sieht auf ihre Freundinnen oder Schwestern die ihr durch die wie Schaumfetzen treibenden großen Flockengebilde entgegenstapfen beladen mit Holzkörben verschwitzt erschöpft mit blau gefrorenen Füßen in zerschlissenen Stiefeln
    Du
    könntest als Tochter eines Karawanenführers wiederkehren als drittes Kind eines jungen turkmenischen Mullahs als paschtunisches Hirtenmädchen Du könntest zu den Hazaras gehören und in eine Schmugglerfamilie einheiraten (Opium Kalaschnikows Wodka Mobiltelefone Satellitenantennen und Laptops aus Taiwan) oder das Lieblingskind eines schwatzsüchtigen Dolmetschers in Kabul sein der Dich einem britischen Botschaftsattaché als unverschleierte in westlichen Eliteschulen gebildete Gymnasiastin vorführt während zwei Straßen weiter noch sämtliche Frauen in Burkhas einhergehen vergraben in Tüchern verwandelt zu textilen Gespenstern vermummt in Desinfektionsanzüge gegen die innere Seuche Weiblichkeit
    die Teppiche
    heißt es in einem der Reiseführer die ich mir ausgeliehen habe um Dich in einer nicht entstandenen Vergangenheit in dem Land wiederzufinden das Dir den Tod schickte
    verrieten
    die schöne Seele der Frauen
    eingehüllt zugedeckt vergraben unter
    den Verrätern
    kauern alte Frauen um einen niedrigen Tisch auf dem ein Teegeschirr dampft in einer der schwarzen Jurten die sich wie chinesische Schirmpilze auf den gelben Boden der Steppen an den Fuß der Felshänge auf den schneeverkrusteten Untergrund der Hochebenen kleben was reden sie miteinander was
    liest die paschtunische Schülerin die mit staubgrauen Händen bloßen staubgrauen Füßen in ihren wie mit dicken Ölfarben gepinselten Kleiderschichten eingehüllt vor einer Lehmziegelmauer im Freien kauert mit dem (unverhüllten) Gesicht einer toskanischen Madonna was
    denkt die in einem sackartigen wattierten Mantel geborgene junge Frau deren Kopf und Schultern von einem blaugrauen Turban wie von einer Tuch gewordenen Meereswoge umflossen werden während sie zärtlich in eine Karotte beißt so fest
    es ist
    plötzlich als ich schon vergaß weshalb ich mir Fotografien ansah
    Sabrinas Blick der mich trifft mit einer Art
    stummem Entsetzen oder nur
    einer besonderen Frage was sagt dir schon ein Blick wenn du sonst nichts weißt ich lasse den Unsinn es gibt keinen Preis mehr wenn du bereit bist mit dem Leben zu bezahlen ich kann mir keine Lage einer Frau in Afghanistan vorstellen aus der ich Sabrina nicht zu befreien wünschte und das eben zeigt wohl
    dass ich wenig verstehe oder wenig verstehen will
    wenn ich Bilder ansehe wenn ich mich an Bilder erinnere wenn ich bei der Betrachtung der alten afghanischen und persischen Totenstädte versinke auf einer Bank vor der Public Library im sonnigen Bryant Park inmitten lunchender Banker und dösender Studenten denen die Bücher oder Laptops auf dem Schoß entgleiten sehe ich
    die Geister der Frauen
    lebende brennende Fackeln in Petroleum getränkte Todesschleier in denen sich die Braut endgültig dem ihr aufgezwungenen Mann verweigert
    die Geister in den abgeschliffenen geköpften Ruinen von Schahr-i Ghulghula der Stadt der Klagen halb vergraben in dreißig Meter hohen Sandbergen Dünen die sich mit zerstörerischer Gewalt bewegen sobaldman nicht hinsieht jede Nacht um 15 Zentimeter ich denke wir hätten dort geschlafen und am nächsten Morgen wäre
    nur dein

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