Septimus Heap 02 - Flyte
Wächter den Palast bewohnte, hatte der Langgang Kunstwerke wie kostbare Statuen, herrliche Wandbehänge und prunkvolle Gobelins beherbergt, aber jetzt war er nur noch ein Schatten einstiger Pracht. Zehn Jahre lang hatte der Oberste Wächter hier geherrscht, und in dieser Zeit hatte er alle Schätze des Palastes verkauft, weil er Geld für seine verschwenderischen Bankette brauchte. Jenna und Septimus kamen jetzt an ein paar alten Gemälden einstiger Königinnen und Prinzessinnen vorbei, die man aus dem Keller geborgen hatte, und auch an mehreren leeren Holztruhen mit aufgebrochenen Schlössern und verbogenen Scharnieren. Nach drei Königinnen, die alle etwas muffig dreinblickten, und einer schielenden Prinzessin bogen die Hufabdrücke scharf rechts ab und verschwanden durch die Flügeltür des Ballsaals. Die Tür stand sperrangelweit offen, und die beiden folgten der Spur nach drinnen. Von Pferd und Reiter war nichts zu sehen.
Septimus stieß einen leisen Pfiff aus. »Ganz schön geräumig, die gute Stube.«
Der Ballsaal war in der Tat riesig. Zu der Zeit, als der Palast erbaut wurde, so hieß es, hatte die gesamte Einwohnerschaft der Burg im Ballsaal Platz gefunden. Heute stimmte das zwar nicht mehr, aber er war immer noch der größte Raum in der ganzen Burg. Der Saal war haushoch, und die gewaltigen, aus vielen Buntglasscheiben bestehenden Fenster reichten vom Fußboden bis zur Decke und warfen allerlei Regenbogenfarben auf das glänzende Parkett. Der untere Teil der Fenster stand wegen der Hitze an diesem Sommermorgen offen. Sie gingen hinaus auf den Rasen hinter dem Palast, der zum Fluss hinunterführte.
»Er ist fort«, sagte Jenna.
»Oder hat sich in Luft aufgelöst«, raunte Septimus. »Wie sagte der Alte: ein Dunkelpferd und ein Dunkelreiter.«
»Sei nicht albern«, sagte Jenna. »So hat er das nicht gemeint. Du warst zu lange da oben im Turm mit deiner schreckhaften Zauberin und ihrem Schatten zusammen. Sieh doch, er ist durch das Fenster da hinaus.«
»Das kannst du doch nicht wissen«, widersprach ihr Septimus leicht beleidigt, weil sie ihn albern genannt hatte.
»Und ob ich kann«, sagte Jenna und deutete auf ein paar Pferdeäpfel, die auf der Stufe dampften. Septimus verzog das Gesicht. Vorsichtig traten sie hinaus auf die Terrasse.
In diesem Augenblick hörten sie Sarah Heap schreien.
* 4 *
4. Simons Rückkehr
» E i ne kleine Botenratte hätte genügt«, sagte Sarah Heap gerade unter Tränen zu dem schwarz gekleideten Reiter, als Jenna und Septimus das Tor des Gemüsegartens erreichten, den eine Mauer umgab. Der Reiter war abgestiegen und kehrte ihnen den Rücken zu. Mit der einen Hand hielt er sein Pferd fest, mit der anderen tätschelte er Sarah, die ihm die Arme um den Hals geschlungen hatte.
Sarah Heap wirkte neben dem Mann klein und zerbrechlich. Das blonde Haar hing ihr zottelig auf die Schultern herab, und ihr langes blaues Baumwollkleid mit der goldenen Palastborte an Ärmeln und Saum konnte nicht verbergen, dass sie seit ihrer Rückkehr in die Burg abgemagert war. Doch ihre grünen Augen, mit denen sie zu dem schwarzen Reiter aufblickte, strahlten vor Erleichterung.
»Eine einzige Nachricht hätte genügt, um mich wissen zu lassen, dass du wohlauf bist«, schalt Sarah. »Mehr hätte ich nicht gebraucht. Hätten wir nicht gebraucht. Dein Vater war krank vor Sorge. Wir dachten, wir würden dich nie Wiedersehen ... Über ein Jahr warst du fort, und nicht ein Wort von dir. Du bist wirklich ein ungezogener Junge, Simon.«
»Ich bin kein Junge mehr, Mutter. Ich bin jetzt ein Mann. Ich bin zwanzig Jahre alt, falls du das vergessen hast.« Simon Heap löste sich aus der Umarmung seiner Mutter und trat zurück, da er sich plötzlich beobachtet fühlte. Er fuhr herum und sah seinen jüngsten Bruder und seine Adoptivschwester am Gartentor stehen. Er wirkte über den Anblick nicht besonders erfreut und wandte sich wieder seiner Mutter zu.
»Und davon abgesehen«, fuhr er in beleidigtem Ton fort, »brauchst du mich sowieso nicht mehr. Jetzt, wo du deinen lang vermissten, heißgeliebten siebten Sohn wiederhast. Zumal er es weit gebracht und mir die Lehrstelle weggeschnappt hat.«
»Hör auf damit, Simon«, protestierte Sarah. »Bitte, lass uns nicht gleich wieder streiten. Septimus hat dir nichts weggeschnappt. Man hat dir die Lehre doch niemals angeboten.«
»Man hätte es aber, wenn diese Rotznase nicht aufgetaucht wäre.«
»Simon! Ich will nicht, dass du so über Septimus
Weitere Kostenlose Bücher