Septimus Heap 03 - Physic
Lehrling genauer anzusehen. Der Junge war blass und mager und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Und natürlich war es seinem Äußeren nicht förderlich, dass er sich das zottige Haar weder kämmte noch schneiden lassen wollte. Dennoch bekam Marcellus Gewissensbisse.
»Lehrling«, sprach er, »es ist nicht gut, dass du hier sitzest wie ein Maulwurf unter seinem Haufen. Zwar ist’s noch kalt und Schnee liegt auf der Erd, doch draußen scheinet die Sonne.« Er zog zwei kleine Silbermünzen aus der Tasche und drückte sie Septimus in die widerspenstige, tintenbefleckte Hand. »Droben, in der Allee, ist grad der letzte Winterjahrmarkt. Nimm die zwei Groschen hier und lauf geschwind, dich daselbst zu vergnügen.«
Septimus betrachtete die Groschen ohne großes Interesse.
»Es ist wahr, was man saget, Septimus: Ein Übermaß an Tinte drücket aufs Gemüt . Fort mit dir.« Marcellus kehrte zu dem großen Tisch zurück und hob den Block Löschpapier hoch, der auf Septimus’ Platz lag. Darunter kam eine rote Rose zum Vorschein, die in die Tischplatte geschnitzt war. Septimus sah sie traurig an. »Geh«, beharrte sein Meister und scheuchte ihn hinaus.
Septimus verließ die Kammer durch den Schreiberausgang. Über eine steile Treppe gelangte er in ein Gewirr von Gängen, von denen einer zum Zaubererturm führte. Dies war das einzige Vergnügen, das er sich gönnte: Hin und wieder spazierte er durch die Große Halle des Zaubererturms, was ihm als Alchimielehrling auch gestattet war. Es war eine bittersüße Erfahrung, doch sie erinnerte ihn mehr an zu Hause als alles andere in dieser Zeit. Er kannte den Weg mittlerweile gut und ging gemächlich durch den von Binsenlichtern erleuchteten Gang. Bald gelangte er an einen kleinen unterirdischen Torbogen, hinter dem eine Treppe zu sehen war.
»Guten Tag, Septimus Heap«, grüßte der Geist, der am Fuß der Treppe saß, ein Außergewöhnlicher Zauberer, der, nach der kräftigen Farbe seines Gewands zu urteilen, erst unlängst ins Geisterdasein eingetreten war.
Septimus nickte, sagte aber nichts. »Wende dich oben nach links und sprich das Losungswort«, belehrte ihn der Geist, indem er ganz langsam und überdeutlich sprach. Da Septimus nie ein Wort sprach, vermutete der Geist, dass er nicht zu den hellsten Lehrlingen gehörte, und gab ihm darum jedes Mal, wenn er ihn sah, mit lauter Stimme dieselbe Anweisung.
Septimus nickte abermals höflich und stieg wie immer mit einem komischen Gefühl im Magen die Stufen hinauf. Oben angekommen, bog er wie immer links ab und durchquerte den kleinen Garderobenraum, der ihm noch immer wie ein Besenschrank vorkam. Hier regte sich jedes Mal Hoffnung in ihm, ganz gleich wie oft er sich sagte, er solle nicht so albern sein. Er öffnete die Tür und trat hinaus in die Große Halle des Zaubererturms.
Als er bei seinem ersten Besuch im Zaubererturm die Große Halle betreten hatte, war er überzeugt gewesen, er sei irgendwie in seine eigene Zeit zurückgekehrt. Alles war gleich. Die magischen Bilder, die in leuchtenden Farben über die Wände huschten, der Hauch von Magie, der in der Luft lag und ihn leicht schwindlig machte. Selbst der Fußboden in der Großen Halle fühlte sich so weich und sandartig an wie immer. Zu aufgeregt, um den Willkommensgruß zu lesen, den der Fußboden für ihn schrieb, stürzte er zu der silbernen Treppe und fuhr in die Spitze des Turms hinauf, wie er es beinahe zwei Jahre lang jeden Tag getan hatte. Die fragenden Blicke der Gewöhnlichen Zauberer in den verschiedenen Etagen bemerkte er nicht. Er wollte nur schnell zu Marcia und ihr erzählen, was geschehen war – und ihr versprechen, nie wieder den Außenpfad zu benutzen. Nie, nie wieder. Im zwanzigsten Stock sprang er von den Stufen und stürmte zu der großen lila Tür, die in die Gemächer der Außergewöhnlichen Zauberin führte.
Die Tür ging nicht auf.
Er warf sich ungeduldig dagegen, da er keine Sekunde länger warten wollte, aber die Tür blieb fest zu. Er konnte es nicht verstehen. Vielleicht war Marcia in Not. Vielleicht hatte sie die Tür mit einem Zauber verriegelt...
Während er noch dastand und nach einer Erklärung suchte, schwang die Tür plötzlich auf und eine lila gekleidete Gestalt trat heraus.
»Marcia, ich bin ...«
Der Außergewöhnliche Zauberer schaute verwirrt auf ihn herab und fragte: »Wie kömmst du hier herauf, Junge?«
»Ich ... ich«, stammelte Septimus und starrte den Außergewöhnlichen Zauberer verständnislos an. Er war
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