Septimus Heap 04 - Queste
Dämmerung am Himmel zeigten. Es war gefährlich, sich bei Nacht in den Schieferbrüchen der Ödlande im Freien aufzuhalten. Und im Lauf der Jahre hatte er genug blutrünstige Geschichten gehört, um zu wissen, dass es in der Dämmerung am gefährlichsten war. Denn um diese Zeit waren die Landwürmer unterwegs – am Abend beendeten sie ihr eintägiges Fasten, und bevor sie am Morgen in ihre Höhlen zurückkrochen, versuchten sie, einen letzten Leckerbissen zu erbeuten, der ihnen über den langen Tag hinweghalf, den sie zusammengerollt im Innern der eiskalten Schieferfelsen verschliefen.
Zehn lange und kalte Minuten später glaubte Merrin, die Umrisse der gezackten Felsen gegenüber deutlicher zu erkennen. Und während er sie noch beobachtete, bemerke er knapp unter dem Horizont eine langsame, gleitende Bewegung, die ihm verriet, dass die Dämmerung nahe sein musste – ein Landwurm kehrte in seine Höhle zurück. Fasziniert beobachtete er, wie der scheinbar endlose, walzenförmige Leib der Kreatur in der Felswand jenseits der Schlucht verschwand. Er fragte sich, wie viele Landwürmer in diesem Augenblick wohl auf seiner Seite der Schlucht dahinglitten, vielleicht nur ein paar Schritte von ihm entfernt, denn er wusste, dass Landwürmer so lautlos wie die Nacht waren. Das einzige Geräusch, das, wenn man Glück hatte, ihr Kommen ankündigte, war das Gepolter eines Steins, der sich löste, wenn sie zum tödlichen Angriff ansetzten. Im selben Augenblick rieselten kleine Steine von der Felswand über Merrin herab, und erschrocken sprang er zurück. Wie eine Reihe Dominosteine taten sechsundzwanzig Gespenster hinter ihm dasselbe.
Merrin schlug das Herz bis zum Hals. Sosehr er sich auch danach sehnte, den Gespenstern zu entkommen, so beschloss er doch, erst wieder einen Fuß vor die Höhle zu setzen, wenn die Sonne sich zeigte und er sich vollkommen sicher fühlen konnte. Doch die Sonne tat ihm den Gefallen nicht. Der Himmel blieb düster und grau, und Merrin wartete und wartete ... Schließlich, als er schon überzeugt war, dass er sich ausgerechnet den Tag in der gesamten Geschichte der Welt ausgesucht hatte, an dem die Sonne überhaupt nicht aufging, sah er doch eine wässrig weiße Scheibe über den dunklen Felsen langsam in den Himmel steigen. Endlich konnte er gehen.
Aber vorher musste er noch die Gespenster loswerden. Er hatte keine Lust, auf dem weiten Weg zur Burg eine lange Reihe hässlicher Gespenster mitzuschleppen. Das kam nicht in Frage. Er wandte sich an das erste Gespenst in der Reihe. »Ich habe meinen Mantel im Observatorium liegen lassen«, sagte er. »Hol ihn mir.«
Das Gespenst blickte verwundert. Der Meister hatte seinen Mantel doch an.
»Hol ihn!«, schrie Merrin. »Das gilt für euch alle – holt meinen Mantel!«
Kein Helfergespenst darf seinem Herrn den Gehorsam verweigern. Mit vorwurfsvollen Blicken, denn Merrins Helfergespenster waren nicht dumm, trotteten sie in die alte Wurmhöhle zurück. Sie waren nicht überrascht, als ihnen ein lauter Bums, gefolgt von einem kräftigen Luftzug, verriet, dass Merrin den Eingang mit dem mächtigen Eisenspund verschlossen hatte. Mit enttäuschten Mienen machten sich die Gespenster an die Ausführung ihres Befehls, und alle bis auf eines suchten noch nach dem nicht vorhandenen Mantel, als ein paar Tage später Simon und Lucy zurückkehrten.
Was Merrin nicht wusste: Eines der Gespenster, nämlich das, bei dessen Beschwörung er die Zauberformel rückwärts gesprochen hatte, war nicht verpflichtet, seinem Herrn zu gehorchen. Und so kam es, dass sich der große Eisenspund zur Wurmhöhle ein zweites Mal öffnete, als Merrin bereits fort war. Das Gespenst schlüpfte heraus und heftete sich an die Fersen desjenigen, der es gerufen hatte. Und über seiner Schulter hing ein schmutziger Sack voller Knochen. Das Gespenst war rasch zu der Erkenntnis gelangt, dass sein neuer Meister jede Hilfe brauchen würde, die er kriegen konnte. Und vielleicht war ein Sack voller schwarzmagischer Knochen genau die Hilfe, die er nötig haben würde.
Merrin folgte dem Pfad, der an den Schieferfelsen entlang in die Ackerlande führte. Er kannte diesen Teil des Weges gut und ließ sich nicht beirren, als ihm hinter der ersten Biegung ein Bergrutsch den Weg versperrte. Aufgeregt und leicht beklommen kletterte er die schlüpfrigen Steine hinauf. Er hütete sich, zu schnell zu gehen, denn er hatte Angst, einen Stein loszutreten und mit ihm hundert Meter tief in den reißenden Fluss
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