Septimus Heap 06 - Darke
Landungssteg eine Bewegung. Quietschend wischte sie die Scheibe wieder klar und sah genauer hin. Da war jemand am Landungssteg – Septimus. Es sah so aus, als unterhalte er sich mit jemandem, obwohl niemand zu sehen war. Jenna wusste sofort, dass er mit dem Geist von Alice Nettles sprach. Die arme Alice Nettles. Nun hatte sie ihren Alther zum zweiten Mal verloren. Seit ihrem schrecklichen Verlust blieb sie unsichtbar und durchstreifte auf der Suche nach Alther die Burg. Ihr gehörte die körperlose Stimme, die den Menschen bisweilen ins Ohr flüsterte: »Wo ist er hin? Haben Sie ihn gesehen? Haben Sie ihn gesehen?«
Jenna hielt sich die Hände vor die Nase, um die Scheibe vor ihrem Atem zu schützen, und starrte wieder in die Nacht. Septimus hatte das Gespräch soeben beendet und ging davon. Er eilte am Fluss entlang und steuerte auf das Nebentor zu, durch das man auf die Zaubererallee gelangte.
Wie gern hätte sie jetzt das Fenster geöffnet, wäre an dem Efeu nach unten geklettert – was sie schon viele Male getan hatte – und dann quer über den Rasen gelaufen, um Septimus abzupassen und zu berichten, was vorhin auf der Mansardentreppe geschehen war. Früher wäre Septimus sofort mit ihr mitgekommen. Aber das war mal, dachte Jenna traurig. Heute hatte er wichtigere Dinge zu tun – geheime Dinge.
Plötzlich wurde Jenna bewusst, dass sie fror. Sie schlüpfte hinter dem Vorhang hervor und ging hinüber zu dem alten Steinkamin, in dem drei große Holzscheite brannten. Und während sie vor dem knisternden Feuer stand und die Hände über die wärmenden Flammen hielt, fragte sie sich, worüber Septimus wohl mit Alice gesprochen hatte. Sie wusste, dass er es ihr nicht sagen würde, selbst wenn sie ihn fragte.
Alice war nicht die Einzige, die jemanden verloren hatte, dachte sie traurig.
* 4 *
4. Lehrlinge
A n seinem vierzehnten Geburtstag stand Septimus vor Tagesanbruch auf. Rasch machte er in der Pyramidenbibliothek sauber und räumte auf wie jeden Morgen, obwohl er heute Geburtstag hatte. Unter einem Stapel Bücher, die noch einsortiert werden mussten, entdeckte er ein unverpacktes Geschenk. Es war ein kleines, aber sehr schönes Vergrößerungsglas aus Gold und Silber. An seinem Elfenbeingriff baumelte ein lila Anhänger, auf dem stand: Lieber Septimus. Ich wünsche Dir einen schönen, zauberhaften vierzehnten Geburtstag. In Liebe, Marcia. Mit einem Lächeln steckte Septimus die Lupe in die Tasche. Es kam nicht oft vor, dass Marcia »in Liebe« vor ihren Namen setzte.
Ein paar Minuten später schwang die schwere lila Tür auf, die den Eingang zu den Gemächern der Außergewöhnlichen Zauberin bewachte, und Septimus eilte zu der silbernen Wendeltreppe am Ende des Treppenabsatzes, um wie jeden Tag, seit seiner Rückkehr von den Sireneninseln, einen Besuch zu machen. Da so früh noch kein Zauberer auf war, nutzte er die Gelegenheit, versetzte die Treppe in den Notfallbetrieb und fuhr im Sausetempo in den siebten Stock hinunter. Leicht benommen, aber beschwingt – es gab nichts Besseres als eine Fahrt im Notfallbetrieb, um morgens wach zu werden – hüpfte Septimus von der Treppe und ging mit etwas wackeligen Knien durch den schwach erleuchteten Gang zu einer Tür, auf der RANKENREVIER stand (das K hatte sich unlängst in Luft aufgelöst, als einem Gewöhnlichen Lehrling ein Zauberspruch misslungen war).
Die Tür zum RANKENREVIER öffnete sich leise, und Septimus trat in den schummerigen, kreisrunden Raum, in dem zehn Betten wie die Ziffern auf dem Zifferblatt einer Uhr angeordnet im Kreis an der Wand endangstanden. Nur zwei waren belegt, das eine von einem Zauberer, der im Zaubererturm die Treppe hinuntergefallen war und sich eine Zehe gebrochen hatte, das andere von einem älteren Zauberer, der sich am Tag zuvor »etwas komisch« gefühlt hatte. An den zwei Lücken auf dem Ziffernblatt waren Türen. Durch die eine war Septimus soeben eingetreten, und die andere, in der Sieben-Uhr-Lücke, führte aus dem Krankenrevier hinaus. In der Mitte des Raums stand ein kreisrunder Tisch, und in dessen Mitte wiederum saßen der Zauberer, der heute Nachtwache hatte, und Rose, das neue Lehrlingsmädchen im Krankenrevier. Rose war fleißig wie immer. Sie schrieb, die langen braunen Haare hinter die Ohren geklemmt, in ihr Projektbuch und dachte sich neue Zaubersprüche aus.
Septimus trat näher. Rose und der Zauberer lächelten ihn freundlich an. Sie kannten ihn gut, da er jeden Tag zu Besuch kam, wenn auch gewöhnlich
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