Septimus Heap 06 - Darke
der Treppe zu hören, doch es blieb still. Ungeduldig klingelte Marcia ein zweites Mal. Nichts regte sich.
»Das ist wirklich zu dumm«, murmelte Marcia. »Die Obermagieschreiberin muss in Notfällen eigentlich jederzeit erreichbar sein.« Sie stapfte die Stufen wieder hinunter. »Wir müssen den ganzen verflixten Laden durchsuchen, bis wir die Hälfte finden. Sie muss doch hier irgendwo sein.«
Plötzlich stutzte sie. Sie deutete auf den schmalen Steinbogen, der in die Hermetische Kammer führte. »Mir ist, als hätte ich da gerade jemanden hineingehen sehen. Aus dem Augenwinkel. Aber sie muss uns doch bemerkt haben – was treibt sie für ein Spiel?« Die Pythonschuhe der Außergewöhnlichen Zauberin klapperten über die alten Eichendielen, als sie zur Kammer hinüberlief.
Beetle folgte ihr und blieb am Eingangsbogen stehen, als Marcia in den stockfinsteren Gang trat, der in die Kammer führte, doch sie winkte ihm hinterherzukommen. Er tat es.
In die Hermetische Kammer, das Allerheiligste des Manuskriptoriums, gelangte man durch einen Gang mit sieben scharfen Biegungen, die eigens angelegt waren, um zu verhindern, dass irrläufige Zauber aus der Kammer entwischen oder, umgekehrt, in sie eindringen und das empfindliche magische Gleichgewicht darin stören konnten. Außerdem war die Kammer vollkommen schall- und lichtdicht – und irgendwie bedrückend.
Als Beetle dem Rascheln von Marcias Mantel folgte, der über den Steinboden des Ganges schleifte, merkte er an der Art, wie sie plötzlich langsamer ging, dass auch ihr ein wenig unheimlich zumute wurde. Und als sie tiefer in den Gang vordrangen und kein Funken Licht mehr zu sehen war, wurde auch ihm ganz mulmig, sodass er aufatmete, als sie um die siebte und letzte Ecke bogen und Licht aus der Hermetischen Kammer in das letzte Stück des Ganges flutete. Zu seiner Erleichterung – denn er hatte den deutlichen Eindruck, dass Marcia etwas ganz anderes erwartet hatte – sah er Obermagieschreiberin Jillie Djinn, halb verdeckt durch Marcias Mantel, an dem vertrauten runden Tisch sitzen.
Nach der Dunkelheit im Gang blendeten ihn die weißen Wände der Hermetischen Kammer. Er schaute sich um. Alles war so, wie er es in Erinnerung hatte. Der alte dunkle Spiegel lehnte an der rau verputzten Wand, daneben der altmodische Abakus. Der große, runde Tisch stand in der Mitte, und unter dem Tisch ruhten Jillie Djinns zierliche Füße, die in praktischen und leider verschrammten schwarzen Schnürschuhen steckten. Darunter lag die Haupteinstiegsluke zu den Eistunneln, die, wie Beetle ebenfalls mit Erleichterung bemerkte, verschlossen und, nach der Staubschicht darauf zu urteilen, seit Längerem nicht mehr geöffnet worden war.
Jillie Djinn kam Beetle kleiner vor, als er sie in Erinnerung hatte. Im grellen Licht in der Kammer war deutlich zu sehen, wie schäbig ihre dunkelblaue Seidenrobe war – früher war ihm das nie aufgefallen. Die Obermagieschreiberin war auf ihre neue Seidenrobe immer sehr stolz gewesen und hatte sie peinlich in Ordnung gehalten, doch jetzt war sie zerknittert und vorn voller Flecken, die verdächtig nach Bratensoße aussahen. Beetle war schockiert. Aber noch bedenklicher stimmte ihn, dass Jillie Djinn offensichtlich nichts tat. Vor ihr lagen weder aufgeschlagene Bücher mit Rechentafeln noch dicke Hauptbücher mit endlosen Zahlenkolonnen in ihrer winzigen Schrift, die ein bedauernswerter Schreiber am nächsten Tag in dreifacher Ausfertigung abschreiben sollte. Sie saß über den leeren Tisch gebeugt da, stierte vor sich hin und schien gar nicht zu bemerken, dass sie Besuch bekommen hatte. Es war, als wäre sie überhaupt nicht da.
Ein Ausdruck der Besorgnis huschte über Marcias Gesicht, aber sie kam gleich zur Sache. »Miss Djinn«, sagte sie energisch, »ich bin hier, um Ihre Hälfte der paarigen Geheimformeln zu holen.«
Jillie Djinn schniefte und wischte sich zu Beetles Entsetzen mit ihrem Ärmel die Nase ab. Aber eine Antwort gab sie nicht.
»Miss Djinn«, versuchte es Marcia noch einmal, »die Sache ist ernst. Sie sind verpflichtet, der Außergewöhnlichen Zauberin auf Ersuchen zu jeder Tages- und Nachtzeit Ihre Hälfte der paarigen Geheimformeln zur Verfügung zu stellen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ein solches Ansinnen seit Jahrhunderten nicht mehr vorgebracht wurde, aber ich tue es jetzt.«
Jillie Djinn reagierte nicht. Es war, als hätte sie kein Wort verstanden.
Marcia runzelte die Stirn. »Miss Djinn«, sagte sie ruhig, »darf
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