Septimus Heap - Fyre
Unglücklicherweise war Jillie Djinn ein paar Monate zuvor auf Marcias heiß geliebtem Sofa gestorben. Und weil Geister ein Jahr und einen Tag lang dort verweilen müssen, wo sie ins Geisterdasein eingetreten sind, musste Marcia noch neun lange Monate Jillie Djinns Gesellschaft ertragen, ehe sich der Geist von hier fortbewegen durfte.
Als frischgebackener Geist war Jillie Djinn von heller Gestalt: Ihre dunkelblaue Robe hatte klare Umrisse, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht war deutlich zu erkennen – sie blickte verärgert, als wollte sie jemandem eine Gardinenpredigt halten. Zu Septimus’ und Marcias Erleichterung hatte sie noch kein Wort gesprochen, aber sie nahm wahr, was um sie herum vorging, und hatte es unlängst sogar geschafft, ihren Sofanachbarn loszuwerden – den Dschinn von Septimus, Jim Knee. Eines Abends war Jim Knee, der dort seinen Winterschlaf gehalten hatte, plötzlich aufgestanden und hatte sich schlafwandelnd in das freie Schlafzimmer begeben, in dem er jetzt friedlich schnarchte.
Jillie Djinns dunkle kleine Augen sahen Septimus unverwandt an, ohne zu blinzeln. Das war in höchstem Maße unangenehm. Früher war ihm nie aufgefallen, dass Geister nicht zu blinzeln brauchten. Er atmete erleichtert auf, als Marcia endlich kam.
»Fertig?«, fragte sie.
»Ja.« Septimus schulterte seinen Rucksack.
Marcia warf einen zornigen Blick zu Jillie Djinn hinüber. »Komm, Septimus, nichts wie raus hier.«
Marcia und Septimus standen schweigend auf der silbernen Wendeltreppe, die sie mit sanften Drehungen durch den Zaubererturm nach unten trug. Septimus sog den magischen Geruch ein. Er war stärker als sonst, da mehr Energie als üblich aufgewendet werden musste, seit der Ring mit dem Doppelgesicht in der Versiegelten Zelle verwahrt wurde. Stockwerk um Stockwerk zog vorüber. Überall gingen Zauberer fleißig ihrem Tagwerk nach, während die Außergewöhnliche Zauberin und ihr Lehrling leise abwärtsschwebten.
Als sie von der Treppe auf den weichen Fußboden der Großen Halle traten, blieb Marcia stehen – nicht willens, schon jetzt aus ihrer Lehrmeisterrolle zu schlüpfen – und fragte: »Du hast die Versiegelte Zelle noch gar nicht gesehen, oder?«
»Nein.«
»Dann wird es höchste Zeit. Wir müssen den Ring mit dem Doppelgesicht kontrollieren, bevor wir gehen.«
Der lange Tunnel, der zu der Versiegelten Zelle führte, war über die Siegelkammer zu erreichen – ein kleines Kabuff hinter der Wendeltreppe. Vor der Kammer wachten zwei Zauberer. Marcia wollte kein Risiko eingehen.
In der Siegelkammer herrschte eine gedämpfte Atmosphäre. Ihr Inneres war von einem magischen lila Licht erfüllt, dessen Quelle das Siegel war, das die Tür zum Tunnel verschloss. Die glatten silbernen Wände der Kammer und ihre abgerundeten Ecken sollten alle Wesen oder Lebendzauber, die zu fliehen versuchten, verwirren – bei Septimus gelang ihnen das mit Sicherheit. Als er eintrat, machte er die eigentümliche Erfahrung, sich selbst in fünf- oder sechsfacher Gestalt gegenüberzustehen, wobei eine komischer aussah als die andere. Und als Marcia die Tür hinter ihnen schloss, kam er sich vor wie in einer lila Blase.
In der Kammer stand eine Zauberin, die unverwandt auf das Siegel zum Tunnel starrte und auf irgendwelche Veränderungen lauerte, die darauf hindeuteten, dass auf der anderen Seite der Tür etwas nicht stimmte. Siegelwache war eine langweilige Aufgabe, die ein Mindestmaß an Befähigung, aber ein Höchstmaß an Konzentration verlangte, und daher nicht beliebt. Wachwechsel war jede halbe Stunde, und das bedeutete, dass für eine Vierundzwanzig-Stunden-Schicht viele Zauberer erforderlich waren.
Marcia sprach die Beobachterin an: »Ich möchte eine Inspektion durchführen. Würden Sie bitte zur Seite treten?«
Nichts hätte Thomasinn Tremayne, der Siegelwachenzauberin, lieber sein können. Sie trat beiseite und schüttelte den Kopf. Die flackernden Lichter verursachten ihr Übelkeit und rasende Kopfschmerzen.
»Mein Lehrling wird mich bei der Inspektion der Versiegelten Zelle begleiten«, sagte Marcia mit leiser Stimme. »Sie bleiben auf Ihrem Posten. Aus Sicherheitsgründen bevollmächtige ich Sie, die Tür wieder zu versiegeln, wenn wir nicht innerhalb von zehn Minuten wieder herauskommen.«
Septimus sah Marcia überrascht an. Das erschien ihm etwas übertrieben.
»Wie Sie wünschen, Madam Marcia«, flüsterte Thomasinn. Und dann: »Soll ich auf den Rucksack aufpassen, Lehrling?«
»Oh … danke.«
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