Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
wurde, eine kleine Gesellschaft plante, versteckte ich die Flöte beim Kamin, um die Gäste mit einem Stegreif-Konzert zu überraschen.
Leider fand Papa die Flöte, erriet, was ich vorhatte, und schleppte mich in mein Zimmer. »Was erlaubst du dir?«, schrie er mich an. Ich hatte seine Augen noch nie so wütend funkeln gesehen.
»Ich werde erzwingen, dass ich Musikstunden nehmen darf«, sagte ich. Meine Stimme klang ruhiger, als ich in Wirklichkeit war. »Wenn alle hören, wie gut ich spiele, werden sie dich bedrängen, es mir nicht länger zu verweigern …«
Er unterbrach mich mit einer raschen Handbewegung und hob die Flöte. Für einen Moment dachte ich, er wolle mich züchtigen. Ich duckte mich, aber der Hieb blieb aus. Als ich es wagte, wieder zu ihm aufzusehen, schlug er die Flöte mit aller Kraft gegen seine Knie.
Mit einem entsetzlichen Krachen zerbrach sie, zersplitterte wie Knochen, zerbarst wie mein Herz. Fassungslos sank ich auf die Knie.
Papa ließ das zerstörte Instrument zu Boden fallen und taumelte einen Schritt zurück. Er sah so elend aus, wie ich mich fühlte. So als wäre die Flöte ein Stück von ihm gewesen. »Du hast es nie verstanden, Serafina«, sagte er. »Ich habe jede Spur von deiner Mutter getilgt. Ich gab ihr einen anderen Namen, eine andere Gestalt, eine andere Vergangenheit, ein anderes Leben. Jetzt können uns nur noch zwei Gefahren drohen: von ihrem unausstehlichen Bruder – aber auf den habe ich ein wachsames Auge – und von ihrer Musik.«
»Sie hatte einen Bruder?«, fragte ich, aber er gab mir keine Antwort. »Wie kann ihre Musik uns schaden? Und wie hieß sie, wenn sie nicht Amaline Ducanahan war?«, wollte ich mit tränenerstickter Stimme wissen. Es gab so weniges, was ich von meiner Mutter besaß, und nun nahm er mir selbst das.
Er schüttelte den Kopf. »Ich schütze uns beide, glaub mir.«
Das Schloss rastete ein, als er die Tür meines Zimmers hinter sich verriegelte. Was völlig unnötig war, ich hätte ohnehin nicht mehr zum Fest zurückkehren können. Mir war übel. Ich drückte meine Stirn gegen die Fußbodenfliesen und ließ die Tränen rollen.
Mitten auf dem Fußboden schlief ich ein, in der Hand die zerbrochene Flöte. Das Erste, was ich dachte, als ich aufwachte, war, dass ich mich am liebsten unter mein Bett verkriechen würde, das zweite, dass es ungewöhnlich still im Haus war, obwohl die Sonne schon hoch am Himmel stand. Ich wusch mir das Gesicht im Waschbecken und das kalte Wasser brachte mich schlagartig zur Besinnung: Gestern war der Abend des Friedensfestes gewesen und alle hatten bis tief in die Nacht gefeiert, genau wie Königin Lavonda und Ardmagar Comonot fünfunddreißig Jahre zuvor, als sie die Zukunft ihrer beiden Völker sicherten.
Das hieß: Ich konnte mein Zimmer nicht verlassen, ehe nicht jemand erwachte und meine Tür aufschloss.
Mein dumpfer Kummer hatte eine ganze Nacht gehabt, um zur Wut heranzureifen, und das machte mich verwegen, verwegener, als ich es jemals zuvor gewesen war. Ich zog mich so warm an wie ich konnte, band mir meine Börse an den Unterarm, öffnete den Fensterflügel und kletterte hinaus.
Unten angekommen überließ ich meinen Füßen die Führung, folgte ihnen durch Alleen, über Brücken und entlang der eisigen Kais. Zu meinem Erstaunen sah ich überall Menschen, geschäftigen Verkehr auf den Straßen und geöffnete Läden. Schlitten glitten bimmelnd an mir vorbei, auf denen Feuerholz oder Heu aufgetürmt war. Diener schleppten Krüge und Körbe von den Geschäften nach Hause, stapften dabei in ihren hölzernen Pantinen achtlos durch den Matsch auf den Straßen; junge Frauen bahnten sich vorsichtig einen Weg um die nassen Schneehaufen. Fleischpasteten und geröstete Kastanien buhlten um die Gunst der Passanten, und ein Glühweinverkäufer versprach becherweise Wärme.
Ich kam an den Sankt-Loola-Platz, wo eine große Menschenmenge rechts und links der leeren Straße zusammengeströmt war. Die Leute schwatzten und schauten erwartungsvoll, drängten sich wegen der Kälte dicht zusammen.
Ein alter Mann neben mir murmelte zu seinem Nachbarn: »Ich kann nicht glauben, dass die Königin dies zulässt. Nach all den Opfern und Kämpfen, die wir auf uns genommen haben!«
»Ich bin überrascht, dass dich überhaupt noch etwas überraschen kann«, sagte sein jüngerer Begleiter und lächelte dabei bitter.
»Bei Sankt Masha, sie wird den Vertragsabschluss noch bereuen, Maurizio.«
»Fünfunddreißig Jahre ist das her
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