Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
Frieden feiern, dann sollte man doch meinen, dass dieser Wurm sich die Mühe macht, selbst zu erscheinen. Aber er verabscheut es, in den Süden zu kommen oder menschliche Gestalt anzunehmen.«
»Ich habe gehört, dass er sich vor Euch fürchtet, Sir«, erwiderte Maurizio prompt. »Und das verstehe ich sogar.«
Später konnte ich nicht mehr genau sagen, warum plötzlich die Situation derart kippte. Der alte Ritter – die Anrede »Sir« legte nahe, dass er ein solcher war – begann plötzlich, Beleidigungen zu rufen. »Schlangen! Dampfbläser! Höllenvieh!« Einige lautstarke Zuschauer um uns herum stimmten ihm zu, einige warfen sogar Schneebälle.
Ein Drache in der Mitte der Prozession bekam es mit der Angst zu tun. Vielleicht war ihm die Menschenmenge zu dicht auf den Leib gerückt oder ein Schneeball hatte ihn getroffen. Er hob den Kopf und richtete sich zu voller Größe auf, woraufhin er sogar das dreistöckige Wirtshaus auf dem großen Platz überragte. Die Zuschauer, die ihm am nächsten standen, gerieten in Panik und flohen.
Sie kamen nicht sehr weit. Um sie herum standen Hunderte halb erfrorener Bürger von Goredd. Die Leute drängelten. Sie fingen an zu schreien. Der Lärm war so ohrenbetäubend, dass weitere Drachen aufgeschreckt die Köpfe hoben.
Der Drachen-Anführer stieß einen Schrei aus, einen tierischen Schrei, der den Menschen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Zu meiner Verblüffung verstand ich, was er schrie: Köpfe nach unten!
Ein Drache entfaltete seine Flügel. Die Menge wogte und schäumte wie ein sturmgepeitschtes Meer.
Der Drachenanführer schrie: Wajir, leg sofort wieder die Flügel an! Wenn du losfliegst, verstößt du gegen Abschnitt sieben Artikel fünf, und dann werde ich dich an deinem Schwanz so schnell vor ein Gericht zerren –
Für die Menge aber hörte sich die Zurechtweisung des Drachen an wie Angriffsgeschrei. Die Furcht in ihren Herzen gewann die Oberhand: Sie flohen in die Seitenstraßen und trampelten alles nieder.
Die Horde riss mich mit sich. Jemand rammte mir seinen Ellenbogen ins Gesicht, ein anderer trat mir gegen das Knie. Ich stolperte und fiel. Jemand trampelte über mein Bein hinweg, ein anderer auf meine Hand. Dann wurde es dunkel und ich nahm undeutlich wahr, wie das Geschrei leiser wurde.
Plötzlich hatte ich wieder Luft und Raum. Und ich spürte heißen Atem in meinem Nacken.
Ich schlug die Augen auf.
Über mir stand ein Drache, zwischen seinen vier Beinen, die mir wie schützende Säulen vorkamen, hatte ich Zuflucht gefunden. Beinahe wäre ich wieder in Ohnmacht gefallen, aber sein schwefeliger Atem brachte mich wieder zur Besinnung. Er stieß mich mit seiner Nase an und zeigte auf eine Gasse.
Ich werde dich bis dorthin begleiten , schrie er in dem gleichen schrillen Ton wie der andere Drache.
Ich stand auf und hielt mich mit zittriger Hand an seinem Bein fest. Es war rau und knorrig wie ein Baumstamm, aber überraschend warm. Der Schnee unter uns zerschmolz zu Matsch. »Ich danke dir, Saar«, sagte ich.
Hast du verstanden, was ich gesagt habe, oder antwortest du nur aufgrund bloßer Vermutung?
Mir wurde ganz kalt. Ich hatte jedes Wort verstanden. Wie war das möglich? Ich hatte niemals Mootya gelernt. Nur wenige Menschen beherrschten die Sprache der Drachen. Keine Antwort zu geben, schien mir das Klügste, also ging ich schweigend los. Er stapfte hinter mir her und die verbliebenen Leute machten uns hastig den Weg frei.
Die schmale Straße war eine mit Fässern zugestellte Sackgasse, weshalb niemand sich dort hinein gerettet hatte. Trotzdem postierte sich der Drache sicherheitshalber an ihrem Eingang. Inzwischen war auch die Königliche Garde da; die Soldaten marschierten im Gleichschritt über den Platz, mit wehenden Federbuschen und dröhnenden Dudelsäcken. Die meisten Drachen hatten sich im Kreis um den Schlitten von Prinzessin Dionne gestellt und schützten sie vor der entfachten Meute; jetzt überließen sie die Prinzessin dem Schutz der Wachleute. Die verbliebenen Zuschauer jubelten und zumindest vorerst war die Ruhe wiederhergestellt.
Dankbar machte ich einen Knicks vor dem Drachen, in der Annahme, dass er nun wegginge, aber er beugte den Kopf auf meine Augenhöhe und kreischte: Serafina .
Ich starrte ihn an, entsetzt darüber, dass er meinen Namen kannte. Er starrte zurück. Kleine Rauchwölkchen quollen aus seinen Nüstern und seine Augen waren schwarz und fremdartig.
Nein, nicht fremd. Auf eine Art und Weise, die ich nicht
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