Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
erklären konnte, waren sie mir seltsam vertraut. Mein Blick verschwamm, als sähe ich durch einen Wasserschleier.
Gar nichts? , kreischte der Saar. Sie war so felsenfest davon überzeugt, dass sie dir wenigstens eine kleine Erinnerung hinterlassen könnte .
Um mich herum wurde es dunkel, das laute Geschrei wurde zu einem leisen Zischen. Ich fiel mit dem Gesicht nach vorne in den Schnee.
Ich liege im Bett, hochschwanger. Die Bettlaken sind klamm; ich zittere und kämpfe gegen meine Übelkeit. Auf der anderen Seite des Zimmers, von der Sonne beschienen, steht Orma; er starrt zum Fenster hinaus ins Leere. Er hört mir nicht zu. Ich bebe vor Ungeduld, ich habe nicht mehr viel Zeit. »Ich möchte, dass dieses Kind dich kennt«, sage ich.
»Dein Balg interessiert mich nicht«, antwortet er und betrachtet seine Fingernägel. »Und mit deinem jämmerlichen Ehemann will ich auch nichts mehr zu tun haben, wenn du gestorben bist.«
Ich weine, ich kann nicht anders, und gleichzeitig schäme ich mich, dass er sieht, wie meine letzte Selbstbeherrschung schwindet. Er schluckt, verzieht den Mund, als stiege ihm die Galle hoch. In seinen Augen bin ich ein Ungeheuer, das weiß ich nur zu gut. Und dennoch liebe ich ihn. Vielleicht ist dies unsere letzte Gelegenheit, miteinander zu reden. »Ich werde dem Kind Erinnerungen hinterlassen«, sage ich.
Endlich blickt mich Orma an, aber seine dunklen Augen verraten nichts. »Kannst du das?«
Ich weiß es nicht mit letzter Sicherheit, und ich habe kaum noch Kraft, zu sprechen. Ich krümme mich unter meiner Decke, um den stechenden Schmerz in meinem Unterleib zu lindern. »Ich werde meinem Kind eine Gedankenperle schenken.«
Orma kratzt sich an seinem dünnen Hals. »Die Perle wird Erinnerungen an mich enthalten, nehme ich an. Deshalb sagst du mir das. Wie werden diese Erinnerungen freigesetzt?«
»Wenn das Kind dich sieht, wie du wirklich bist«, stoße ich keuchend hervor, weil die Schmerzen stärker werden.
Er schnaubt wie ein Pferd. »Wann könnte das Kind mich wohl in meiner natürlichen Gestalt sehen?«
»Das liegt ganz bei dir. Erst wenn du bereit bist zuzugeben, dass du sein Onkel bist.« Ich hole tief Luft, als ein wilder Krampf mich schüttelt. Es wird kaum Zeit bleiben, die Gedankenperle zu formen, ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich noch in der Lage bin, mich so zu konzentrieren, wie es nötig ist. So ruhig wie möglich sage ich zu Orma: »Hole Claude. Sofort. Bitte.«
Vergib mir, Kind, dass ich diese fürchterlichen Schmerzen in die Erinnerung hineinlege. Es bleibt keine Zeit mehr, sie zu tilgen.
Mein Kopf dröhnte, als ich die Augen wieder aufschlug. Ich lag in Maurizios Armen, kauernd wie ein Neugeborenes. Karal war nur ein paar Schritte entfernt und tanzte eine seltsame Gigue im Schnee. Der alte Ritter hatte irgendwo eine Fahnenstange aufgetrieben und damit den Drachen verjagt, der sich inzwischen auf die andere Seite des Platzes zu seinen Artgenossen gesellt hatte.
Falsch, es war nicht einfach ein Drache. Es war Orma, mein …
Ich wagte es nicht, den Gedanken zuzulassen.
Maurizios besorgtes Gesicht verschwamm vor meinen Augen. Ich konnte gerade noch sagen: »Zu den Dombeghs, in der Nähe von Sankt Fionnuala«, ehe mir wieder schwarz vor Augen wurde. Ich wachte erst wieder auf, als mich Maurizio in die Arme meines Vaters legte. Papa half mir die Treppe hoch und ich sank auf mein Bett.
Während ich immer wieder das Bewusstsein verlor, hörte ich, wie mein Vater nach jemandem rief. Ich wachte auf und Orma saß auf meiner Bettkante. Er redete mit mir, als wäre ich schon lange wach: »… ein verkapseltes Andenken an deine Mutter. Ich weiß nicht genau, was sie dir von sich mitgegeben hat, sie wollte nur, dass du die Wahrheit über mich und über sie erfährst.«
Er war ein Drache und der Bruder meiner Mutter. Ich hatte bisher noch nicht die Schlussfolgerung gewagt, was das im Hinblick auf meine Mutter bedeutete, aber Orma ließ nun keinen Zweifel mehr. Ich beugte mich über den Bettrand und übergab mich. Er stocherte mit den Fingernägeln zwischen seinen Zähnen und starrte auf das Erbrochene, als könnte er daraus lesen, wie viel ich wusste.
»Ich hatte nicht erwartet, dass du an dem Umzug teilnimmst. Ich wollte nicht, dass du es jetzt erfährst – oder überhaupt jemals. Was das angeht, waren dein Vater und ich uns einig«, sagte er. »Aber ich konnte nicht mit ansehen, wie dich der Mob niedertrampelt. Ich weiß selbst nicht, warum.«
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