Serafinas später Sieg
dachte, Sie wollten dorthin – und noch weiter.«
»Vielleicht werde ich das alles noch sehen, nur eben nicht mit meinem eigenen Schiff. Ein Steuermann findet immer Arbeit. Mein Traum ist zu Ende, es wird Zeit, daß ich mich damit abfinde.«
»Nein, Thomas!« Constanza sprang auf und schlug ihm das Glas aus der Hand. Es zerschellte am Boden, die farblose Flüssigkeit glänzte auf den Terrakottafliesen. »Sie dürfen sich nicht aufgeben! Es gibt jemanden, der Sie dringend braucht!« Er schaute sie fragend an. »Hören Sie mir zu.« Ihre Augen waren dunkel vor Wut. »Heute abend hat mein Liebhaber, Galeazzo Merli, ein Possenspiel für Serafina Capriani arrangiert. Wissen Sie, was ein Charivari ist? Nein? Dann lassen Sie es mich Ihnen erklären: Wenn eine Person etwas tut, was die Gesellschaft verurteilt beispielsweise als junge Frau einen alten Mann heiraten –, dann verkleiden sich Männer als Abbild der Beteiligten, und ein Spottgedicht wird rezitiert. Dieses üble Spiel haben Galeazzo und einige seiner Freunde heute nacht mit Serafina Capriani getrieben. Einer der Darsteller verkörperte einen alten, erstaunlich gutbestückten Mann, ein anderer eine Schwangere.«
Thomas starrte sie entsetzt an. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander.
»Serafina ist etwa im sechsten Monat schwanger, denke ich«, fuhr sie leise fort. »Aber es kann sein, daß sie das Kind heute nacht verliert. Ich kam leider erst bei ihr an, als die Vorstellung bereits vorüber war, ich sah die Kerle gerade noch im Schneetreiben verschwinden, und sie lag ohnmächtig vor dem Haus. Ich ließ sie hineinbringen und die Hebamme rufen.«
Thomas mußte sich setzen – seine Beine trugen ihn nicht mehr. Männer starben in einer Schlacht oder auf See – Frauen bei der Geburt. »Wird sie es überleben?« brachte er mühsam hervor.
»Ich weiß es nicht.« Constanza trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sie ist jung und stark. Sie wird kämpfen. Ich finde, Sie sollten zu ihr gehen.«
Tränen glänzten in seinen Augen. »Sie will mich nicht.«
Die Kurtisane strich ihm über die Schulter. »Damit werden Sie wohl leben müssen, mein Lieber, aber das sollte Sie nicht davon abhalten, ihr beizustehen.« Er starrte schweigend vor sich hin. »Weil Sie sie lieben«, setzte sie hinzu, »weil Sie ihr Freund sind – und weil sie niemand anderen hat.«
Nachdem er von den Bediensteten der Caprianis erfahren hatte, daß sie – wie er – dem Tod ein Schnippchen geschlagen hatte, machte Thomas sich eine Woche später auf den Weg zu Serafina. Es war bitter kalt, der gefrorene Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Serafina empfing ihn in einem Salon, von dem man über den Arno schauen konnte – zu Constanzas Haus. Ihr Anblick tat ihm in der Seele weh. Sie saß mit einer Decke über den Knien und Kissen im Rücken auf dem Sofa. Die leuchtende Blässe ihres Gesichts ließ ihr Haar und ihre Augen schwarz erscheinen: Noch immer war die feine Narbe zu sehen, die von ihrem Sturz auf den Bootsrand der Tartane herrührte. Serafina sah genauso jung aus wie damals – ein bleiches, wehrloses Kind.
Thomas verbeugte sich. Seine Stiefel hinterließen feuchte Spuren auf dem Holzboden, als er durch das Zimmer ging. Serafina sagte nichts, sie sah ihn nur schweigend an. Diesmal hätte er eine sarkastische oder hochmütige Bemerkung begrüßt – oder ein »Mr. Marlowe – wie nett«. Furcht stand in ihren Augen. Er kniete sich neben sie und legte sein Geschenk auf die Decke. »William Williams hätte es besser gekonnt«, sagte er, »aber er ist in Aleppo.«
Es war ein Schiff, aus Holz geschnitzt, naturgetreu bis ins kleinste. »Die Kingfisher !« Serafina lächelte schwach.
Er nickte. »Wenn Sie sie haben wollen, gehört sie Ihnen.« Es überraschte ihn, wie leicht ihm die Worte über die Lippen kamen, mit denen er ihr das anbot, was er außer ihr am meisten liebte. Er wußte, daß er sich damit in ihre Hand gäbe, doch er wußte auch, daß er keine Wahl hatte: Irgendeine Macht – Kara Alis geliebte Sterne oder die mediterranen Götter – hatte ihre Geschicke untrennbar miteinander verknüpft, ihres, seines und das der Kingfisher. Fast andächtig betrachtete Serafina das winzige Modell, die Masten und Rahen, den geräumigen Laderaum und den schnittigen Rumpf, der auf Schnelligkeit ausgelegt war. Schließlich sagte sie: »Ich erwarte ein Kind, Thomas. Ich hätte es fast verloren, aber die Hebamme meint, wenn ich mich ruhig halte, kann ich es
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