Serafinas später Sieg
Jehans knochiges Handgelenk und packte ihn mit der anderen Hand am Genick. Der Wein – sein bester kretischer Wein – spritzte über Möbel und Teppich. Das venezianische Stielglas zersprang auf der Tischplatte in tausend Scherben.
»Vergehen«, sagte Angelo nah an Jehans Ohr, »an denen Sie ebenso beteiligt waren wie ich. Schlägt etwa plötzlich Ihr Gewissen? Erinnert Sie die bevorstehende Verlobung der jungen Signorina Nadi vielleicht an eine Verlobung, die wir vor Jahren vereitelt haben?« Mit aller Kraft drückte er die Handfläche des Notars in die Glassplitter. Er hörte, wie Jehan scharf die Luft einzog – und ließ unvermittelt los. Die fettigen Haare vor seinem Gesicht und die faltige graue Haut unter seinen Fingern erfüllten ihn plötzlich mit einem würgenden Ekel. Der Notar hatte keinen Laut von sich gegeben – nur seine Augen waren gerötet, als habe er geweint. Obwohl Angelo ihn früher wegen des ständigen Gejammers über sein verlorenes Erbe verspottet hatte, brachte er ihm damals Achtung für seine juristische Kompetenz entgegen, doch inzwischen schwamm der Mann in einem Meer aus Alkohol und Neid, hatte in Angelos Augen jegliche Würde verloren und keinen Anspruch mehr auf Achtung.
Angelo entfernte sich von der unappetitlichen Mischung aus Wein, Blut und Scherben auf dem Tisch und öffnete die Fensterläden. Hinter ihm schlurfte der Notar zur Tür. Er atmete stoßweise – es klang fast wie Schluchzen. Die Fensterläden hatten Angelos gepflegte Hände staubig gemacht, und der von der Straße heraufdringende Gestank beleidigte seine Nase. Er merkte, daß er zitterte. Die letzten Monate hatten ihn geschwächt, ausgerechnet ihn, dessen größte Stärke seine unerschöpfliche Energie gewesen war!
Er rief sich ins Gedächtnis, daß das Schlimmste überstanden war und er nicht mehr den Verlust von allem fürchten mußte, wofür er gekämpft hatte. Eine Woge der Erleichterung überflutete ihn. Er zog den zweiten Brief heraus, den er in die Tasche gesteckt hatte. Das Siegel war ihm unbekannt. Als er die Unterschrift – Capriani – las, wanderte sein Blick zum Hafen hinaus. Er konnte die Kingfisher nicht sehen, aber er kannte den Namen des Besitzers. Gründlich, wie er war, hatte er herausgefunden, daß die Galeone einem Kaufmann Capriani gehörte – und, zu seiner Verblüffung, daß dieser Kaufmann eine Frau war! Er merkte, daß er lächelte und daß seine Neugier erwacht war. Soviel er gehört hatte, entsprach die Dame ganz und gar nicht der Vorstellung, die man sich im allgemeinen von einer Witwe machte. Er hatte sich eine Feier verdient, warum sollte er sich dazu nicht charmante Gesellschaft gönnen? Er rief seinen Sekretär herein und diktierte ihm die Antworten auf beide Briefe. Die erste, an Lorenzo Nadi, fiel ihm leicht. Die zweite, an die geheimnisvolle Signora Capriani, verlangte ein wenig mehr Nachdenken, doch schließlich war er mit dem Ergebnis zufrieden. Der Nationalität der Schreiberin Rechnung tragend, war seine Einladung in toskanischem Italienisch abgefaßt: Signora Capriani, die Besitzerin der Kingfisher , wurde gebeten, Signor Guardi, dem Besitzer der Fiametta , die Ehre zu geben, mit ihm zu speisen.
In Greenwich packte Faith Whitlock für die bevorstehende Reise ihres Mannes. »Hemden«, sagte sie und deutete auf den Stapel auf dem Tisch. »Ein Dutzend aus Leinen, ein halbes Dutzend aus Seide, Überfallkragen und Halskrausen. Ich habe sie alle gestärkt, Ned, aber wenn es heiß ist, werden sie trotzdem schlapp.«
Edward Whitlock, der vor einer langen Reise stets nervös war, fingerte an dem Körbchen mit den Wäscheklammern herum, das neben dem Krug mit der Stärke und dem Riechtöpfchen auf dem Fensterbrett der Wäschekammer stand. Regen klatschte gegen die Scheiben und verwandelte Faiths Kräutergarten in eine Schlammwüste.
»Wann wirst du abreisen?« fragte Faith mit einem Blick auf das scheußliche Wetter.
Ihr Mann, der duftende Blätter aus dem Riechtöpfchen zwischen den Fingern zerrieb, antwortete: »Voraussichtlich Ende der Woche. Ich möchte im Oktober das Kap umrunden, dann müßten die Spanier schon im Winterschlaf liegen.«
Sie gestattete sich nie, sich um ihn oder seine Besatzung zu sorgen, beschäftigte sich niemals mit Gedanken an Schiffsunglücke, gierige Korsaren oder rachedurstige Spanier. Sie wäre verrückt geworden, wenn sie es getan hätte. Sie hatte schon vor langer Zeit begriffen, daß die einzige Möglichkeit, nicht vor Angst und Einsamkeit den
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