Serafinas später Sieg
Verstand zu verlieren, darin bestand, sich ein eigenes Leben aufzubauen – ein Leben, das so ausgefüllt war, daß sie nicht zum Nachdenken kam. Gelassen zählte Faith die Taschentücher durch, die vor ihr lagen, während Betty, das Dienstmädchen, die Hemden zusammenfaltete und in einer Truhe verstaute, wobei sie wegen des frischen Duftes Lavendelzweige zwischen die einzelnen Stücke legte. »Neunundvierzig, fünfzig«, endete Faith. »Hast du die Kanonen bekommen, Ned?«
»O ja – Richard Staper hat es schließlich eingesehen.« Er drehte sich um und stieß dabei ein Kästchen mit Brasilholz herunter, ging auf die Knie und kroch auf dem Boden herum, um die Holzstückchen aufzusammeln. »Die Legacy und die Saviour of Bristol haben jetzt jeweils sechs Kanonen mehr. Die Garland wurde bereits in Livorno neu bestückt.«
Faith schaute auf ihren Mann hinunter und sagte: »Betty – hilf Master Whitlock beim Aufsammeln. Segelt John Keane mit dir, Lieber?«
Edward richtete sich auf und wischte sich die Hände an einem Lappen ab. »Ja – er wird das Kommando auf der Legacy übernehmen. Wenn wir zurückkommen, wird er Dorothy Jenkins heiraten. Ihr Vater ist letzte Woche gestorben. Wußtest du das? Dott muß ungeheuer erleichtert sein – aber sie würde es natürlich nie zugeben. Ich werde als Kapitän auf der Garland fahren. Sie ist leicht kenterbar, aber ich werde sie heil nach Alexandretta und zurückbringen, Faith. Ich habe noch nie ein Schiff verloren. Meine Güte – dieses Zeug ist aber hartnäckig!« Er beugte sich über die Waschschüssel und begann seine vom Brasilholz rotbraun verfärbten Hände zu schrubben. Der Regen hatte aufgehört, und ein schmaler Streifen Sonnenlicht fiel auf seinen Kopf, wo das Haar allmählich schütter wurde und die Haut durchschimmerte. »Wozu brauchst du das überhaupt?« fragte er und deutete auf das Kästchen mit dem Brasilholz, das Betty wieder auf das Fensterbrett gestellt hatte.
»Um die Bettvorhänge zu färben«, erklärte Faith, die gerade dabei war, Wamse zusammenzulegen. »Sie sind schon ganz ausgebleicht.« Edward stand mit dem Rücken zu ihr. Sie unterbrach ihre Tätigkeit, trat zu ihm, legte ihm den Arm um die Schulter und drückte ihn zart an sich, wie sie es mit ihren Kindern tat. »Dein Sohn möchte für sein Leben gern einen türkischen Krummsäbel, aber ich möchte dich bitten, ihm diesen Wunsch nicht zu erfüllen. Neue Schachfiguren sind bedeutend sinnvoller, er hat die meisten von dem Spiel, das du ihm letztes Mal mitbrachtest, verlegt. Alice möchte Glasperlen oder anderen Tand – und ich eine Bahn Seide für das Taufkleid: Ich muß es ein wenig aufbessern.«
Er hörte auf, seine Hände zu bearbeiten, wandte ihr das Gesicht zu und sah sie überrascht an – und besorgt. Er ist ein guter Mann, dachte sie und küßte ihn. »Ein Kind zu bekommen ist eine ganz einfache Sache, Lieber –, und es wird mich beschäftigen«, lächelte sie.
Serafina ging ohne Begleitung zu dem goldenen Haus. Es war über einen Monat her, daß die Kingfisher in Marseille angedockt hatte, und dieser Monat war mit Einkaufen und Verkaufen, mit Planen und der Suche nach Informationen vergangen. Sie hatte, noch bevor sie in Pisa ablegten, gewußt, daß dieses Treffen der eigentliche Zweck der Reise war, doch jetzt hätte sie es gerne noch ein wenig hinausgezögert. Je näher sie ihrem Ziel kam, um so kälter wurde die Hand, die ihr Herz zu umschließen schien. Als sie den Fuß der Treppe erreichte, die zudem Haus hinaufführte, rief sie sich zur Ordnung. Sie hatte monatelang von dieser Stunde geträumt – nein, jahrelang! Zweieinhalb Jahre lang, um genau zu sein –, seit sie damals hierhergekommen war und erfahren hatte, daß sie nicht nur alles verloren hatte, sondern auch noch betrogen Worden war. Seit jener Zeit hatte sie Menschen manipuliert, Ereignisse erzwungen – alles im Hinblick auf dieses eine Ziel. Sie hatte sorgfältig geplant, und jetzt würden ihre Bemühungen Früchte tragen. Thomas war in Avignon und könnte nicht vor morgen zurück sein. Sie hatte in Marseille fast alles erledigt, was sie sich vorgenommen hatte. Der Laderaum der Kingfisher war mit wertvollen Stoffen gefüllt. Jetzt blieb nur noch das Wichtigste zu tun. Die Tür wurde ihr von einem Dienstmädchen geöffnet. Sie betrachtete ihr Bild in einem großen Spiegel, der über dem Kamin in der Halle hing: ein schwarzes, mit rosafarbenen Perlen besticktes Seidenkleid mit Ärmelaufschlägen und einem halben
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