Serafinas später Sieg
das Fassungsvermögen des Laderaums der Kingfisher , die Zeit, die es dauern würde, von Pisa in die Levante zu segeln – und sie behielt ihre gewonnenen Erkenntnisse für sich: Daß Angelo Guardi sich Geld geliehen, jedoch trotzdem Probleme hatte, die Waren zu bezahlen, mit denen er den Laderaum der Fiametta füllen wollte. Wenn ihre Träume sie nicht vom Schlafen abgehalten hätten, dann hätten es diese Informationen getan. Wenn sie mit Thomas zusammen war, achtete sie sorgfältig darauf, ihre wachsende Hoffnung vor ihm zu verbergen, verhielt sich freundlich, aber schweigsam.
Die Geschäfte gingen gut. Marseilles Befreiung aus der Isolation gestattete einen einfacheren Transport der Güter in den Norden. Die Liste von Jacopos Kunden und Geschäftsfreunden war lang, und Serafina hatte sie noch durch ausgesuchte Bankiers und Kaufleute aus Pisa, Livorno und Genua ergänzt. Dank ihres Witwenstandes genoß sie Achtung, dank ihrer Schönheit Bewunderung. Sie hatte jedem Mann etwas zu bieten – was auch immer er erwartete: Charme, weibliche Reize, einen klaren Verstand und einen ausgeprägten Geschäftssinn. Die Kolonnen in den Bestellbüchern wurden immer länger. Die Stoffe und Seiden, die sie in Neapel gekauft beziehungsweise in Pisa hatte weben lassen, brachten gutes Geld ein. Abends, wenn alle anderen im Haus schliefen, saß Serafina im Kontor und rechnete.
Und eines Tages ging sie zu dem goldenen Haus – vor Einbruch der Dunkelheit, denn sonst, das wußte sie, würde sie wieder die verächtliche Stimme hören: »Da würde ich ja noch lieber mit meiner Stute schlafen – die sieht bedeutend anziehender aus!« Serafina trug ein besticktes schwarzes Samtkleid und einen Schleier aus Brüsseler Spitze. Sie hatte sich mit Patschuli parfümiert und ihren Körper mit Rosenwasser eingerieben. Männer drehten sich im Vorübergehen nach ihr um und neigten grüßend den Kopf. Nichts erinnerte mehr an den verwahrlosten Jungen, für den Angelo sie gehalten hatte, als sie auf der Treppe zu dem Haus saß, das er als das seine ausgab. Serafina erreichte den Platz und schaute zu dem Gebäude hinüber, das einmal ihr Heim gewesen war. Die Blattgoldverzierungen hatten an Glanz verloren, hier und da blätterte Farbe ab und ließ die helle Ziegelmauer sehen, an die sie sich aus ihrer Kinderzeit erinnerte. Es war, als schäle sich das Haus aus der glitzernden Haut, in die Angelo es gesteckt hatte, schüttle die trügerische Fassade ab, um sein wahres Gesicht zu enthüllen.
Sie lächelte, als sie sich auf den Rückweg durch die belebten Straßen machte. Zu Hause angekommen, ging sie geradewegs ins Arbeitszimmer und setzte sich an den Schreibtisch, um einen Brief zu verfassen.
Der Notar Jehan de Coniques brachte seinem Arbeitgeber zwei Briefe. Den ersten öffnete Angelo sofort – er war von Lorenzo Nadi. Mit gemischten Gefühlen machte er sich daran, ihn zu lesen, doch bereits nach den ersten Zeilen atmete er auf: Das Schreiben enthielt die Einzelheiten der bereits erwogenen Übereinkunft! Nun würde bestimmt auch der Verlobung nichts mehr im Wege stehen: Angelo lächelte triumphierend.
Jehan, der ihn aufmerksam gemustert hatte, kicherte. »Sie können ihrer Jungfräulichkeit sicher sein, Angelo, die italienischen Mädchen werden wie Nonnen gehalten.«
Es war nicht der ordinäre Tonfall des Notars, was Angelo wieder einmal in Wut brachte, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der er ihn mit dem Vornamen ansprach. Früher einmal waren sie gleichgestellt gewesen – mittellos und ohne Zukunft –, doch die Zeit und die Manipulationen von Menschen und Ereignissen hatten sie voneinander entfernt. Jehan hatte das jedoch nie anerkannt, der Name Angelo kam ihm heute noch genauso natürlich über die Lippen wie damals, als Angelo ihn brauchte und deshalb hofierte.
»Machen Sie sich daran, die notwendigen Papiere auszufertigen«, sagte er mühsam beherrscht. »Ich werde mich voraussichtlich im Frühling mit Signorina Nadi verloben.«
Der Notar schenkte sich Wein nach und kicherte wieder. »Mein Freund – Sie wissen, daß ich sehr gut darin bin, notwendige Papiere auszufertigen.« Er sprach undeutlich und schleppend. »Auf Ihre Braut!« Er hob sein Glas. »Auf die reiche Fiametta Nadi. Auf die Belohnung für Ihre Vergehen – fünfzigtausend Dukaten und eine neunzehnjährige Jungfrau …« Seine Hand zitterte, und Wein ergoß sich über die geschnitzte, polierte Platte des Tisches, an dem er saß. Angelo trat hinter ihn, umfaßte
Weitere Kostenlose Bücher