Serafinas später Sieg
was sie gegessen hatte. Angelo musterte sie mit unverhohlenem Interesse. Ihre Hand zitterte, als sie ihr Glas an die Lippen führte. Thomas' Stimme hallte durch ihren Kopf: »Sie waren in ihn verliebt, nicht wahr? Und Sie sind es immer noch!« Aber Thomas irrte sich! Das Gefühl, das sie Angelo entgegenbrachte – dieses Gefühl, das sie innerlich verzehrte –, war blanker Haß!
Scheinbar gelassen antwortete sie: »Ja, ich bin Witwe. Mein Gatte, ein Kaufmann aus Pisa, starb im Frühling. Ich bemühe mich, sein Geschäft weiterzuführen – für mein Kind.«
»Ach – sie haben ein Kind?«
Dachte Angelo jemals an das andere Kind – das zehnjährige Mädchen, das er vor Jahren in den Tod schickte? Wenn sie ihm offenbarte, wer sie war, wie würde er reagieren? »Einen Sohn«, antwortete sie. »Francesco ist noch sehr klein – aber er wird eines Tages die Firma Capriani erben. Bis dahin obliegt mir die Verwaltung des Besitzes. Ich hoffe sehr, der Aufgabe gewachsen zu sein.«
Der Diener hatte den Hauptgang serviert. »Sie sind zu bescheiden, Signora«, sagte Angelo. »Ich habe Erkundigungen eingezogen: Selbst altgediente Kaufleute zittern vor Ihnen, weil Sie eine so harte Verhandlungspartnerin sind.« Er trug ein Seidenhemd und darüber ein ärmelloses scharlachrotes Wams mit schwarzen Taftstreifen. Serafina spürte, wie ihr unter Angelos prüfendem Blick der Schweiß aus allen Poren brach: »Ich für meinen Teil würde aus einem anderen Grund zittern«, fuhr er fort. »Ich hörte, daß Sie eine mächtige Frau seien, Signora, und ich sehe, daß Sie eine schöne Frau sind.« Seine Augen hielten die ihren fest. Sie kam sich vor wie eine Motte, die es unwiderstehlich zum Licht zog.
»Schönheit kann auch hinderlich sein«, beantwortete sie sein Kompliment in gewollt kühlem Ton. »Manche Kaufleute betrachten mich wie zerbrechliches Glas, zu zerbrechlich für die harte Welt des Handels. Andere halten mich für dumm, und wieder andere glauben, daß eine schöne Frau nur eine Hure sein kann.«
Sie legte ihr Besteck weg, sie konnte keinen Bissen mehr essen. Wie aus weiter Ferne hörte sie das Summen einer Mücke und die Stimmen von Passanten, die sich unten auf der Straße unterhielten.
Auch Angelo hatte aufgehört zu essen. Er erhob sich, reichte Serafina die Hand und zog sie hoch. Doch als sie stand, ließ er ihre Finger nicht los, sondern umschloß sie mit den seinen und drückte sie an seine Brust. »Eine zerbrechliche Frau würde keine Galeone durch ein Unwetter jagen. Eine dumme hätte sich nicht innerhalb eines Monats in Marseille einen Namen als Geschäftsfrau gemacht. Und eine unmoralische …« Er brach ab. Serafina spürte seinen Herzschlag durch den dünnen Stoff. Auch ihr Herz schlug schneller. Sie fühlte sich, als schmelze sie, löse sich auf, verbrenne zu Asche. »Eine unmoralische«, setzte Angelo seinen Satz fort, »hätte mir keinen sachlichen Brief geschrieben, um mich kennenzulernen. Sie hätte dafür gesorgt, mich ›zufällig‹ zu treffen – am Hafen oder auf einem Markplatz oder im Haus eines anderen Kaufmanns. Das wäre nicht schwierig gewesen. Sie hätte das Gesicht hinter ihrem Fächer versteckt, kokett gelacht oder mir einen schnellen Blick auf ihren Fuß unter dem Saum ihres Kleides gestattet. Und wenn sie gegangen wäre, wäre ich ihr gefolgt.«
Als sie ihn vor langer Zeit anbetete, war sie in seinen Augen noch ein kleines Mädchen gewesen – jetzt begehrte er sie. Sie sah es in seinen Augen, und es machte ihr angst. Besaß er immer noch die Macht, mit der er ihre kindliche Seele verzaubert hatte? Sie schob den Gedanken weg. »Sprechen wir übers Geschäft, Signor Guardi«, lenkte sie ab. »Sie handeln mit Stoffen, soviel ich weiß.«
Er öffnete die Doppeltür zum angrenzenden Raum und trat beiseite, um sie vorangehen zu lassen. »Ebenso wie Sie, Signora. Ich kaufe Wollstoffe, Barchent und Weißwäsche im Norden – Seide, Brokat und Taft in Italien und der Levante. Die Fiametta habe ich gebaut, um die Transportkosten zu senken.«
»Als selbständiger Kaufmann versucht man, sich gegen alle Veränderungen zu wappnen, nicht wahr, Signor?« sagte Serafina. »Aber es gibt immer wieder Unwägbarkeiten – und gegen Unerwartetes können wir uns nicht schützen.«
Angelo lehnte sich in seinem Sessel zurück und streckte die Beine aus. »Da bin ich anderer Meinung, Signora«, widersprach er sanft. »Ich sorge dafür, immer alles unter Kontrolle zu haben. Ich plane für jeden nur
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