Serafinas später Sieg
Kragen aus blonder Spitze. Dunkles Haar, zu einem tiefsitzenden Knoten geschlungen. Große dunkle Augen in einem bleichen Gesicht. Sie hatte kurz erwogen, ihren Teint mittels Mennige etwas frischer zu machen, den Tiegel jedoch hastig weggestellt, als ihr Thomas' Kritik einfiel.
Mein Haus! dachte sie, während sie den Blick schweifen ließ. Gestohlen, wie mein Name! Doch zu ihrer Überraschung stellte sich die erwartete Vertrautheit nicht ein – als habe sie dies alles früher einmal auf einem Bild gesehen, oder in einem Traum. Die Zimmer, an denen sie vorbeikam, erschienen ihr kleiner, das Mobiliar fade, ohne die leuchtenden Farben, die sie in Erinnerung gehabt hatte. Sie rief sich den Grundriß des Hauses ins Gedächtnis. Küche, Spülküche und Wäschekammer im Souterrain, die Geschäftsräume im Parterre. Sie folgte dem Dienstmädchen in den ersten Stock. Hier lagen das Speisezimmer, und der Salon. Einzelheiten fielen ihr ein: Ein gedrehter Messingleuchter auf dem Eßtisch – sie hatte immer die abgebrannten Kerzen gegen neue austauschen dürfen. Vorhänge, die regungslos in der Abendluft hingen-sie hatte die Pferde darauf gezählt und ihnen Namen gegeben. Destrier, Bayard …
»Monsieur«, sagte das Dienstmädchen in ihre Gedanken. »Signora Capriani ist da.«
Serafinas Augen, die durch das bekannt-unbekannte Haus gehuscht waren, ohne von etwas gefesselt zu werden, richteten sich auf den Mann, der in der Tür zum Speisezimmer stand. Das Kerzenlicht ließ sein dunkelgoldenes Haar glänzen.
Angelo.
Mochte das Haus ihr fremd geworden sein – Angelo war es nicht. Er hatte noch immer die Züge, die Liebe und Haß in ihr Gedächtnis gegraben hatten. Augen, Nase, Mund, Haare – das fleischgewordene Bild, das jahrelang durch ihre Träume gegeistert war. Sie brauchte dieses Gesicht nicht zu studieren – sie kannte es, es war in ihrem Herzen. Sie war es gewöhnt, ihre Gefühle zu verbergen, und das erwies sich jetzt als wahrer Segen. Trotz des Gefühlssturmes, der in ihrem Innern tobte, war sie in der Lage, ihm die Hand zum Kuß zu reichen, zu lächeln und in unverbindlich-charmantem Ton über das Wetter zu reden.
Erst als sie vor ihm in den Raum trat, gestattete sie sich, für einen Moment die Augen zu schließen, doch sie faßte sich sofort wieder. Der Tisch war für zwei Personen gedeckt. Sie hatte darauf gehofft, denn das, was sie Angelo zu sagen hatte, sagte sich besser unter vier Augen. Es war offensichtlich, daß er sie nicht erkannt hatte. Sie erinnerte ihn weder an das Kind, das er den Korsaren in die Arme getrieben hatte, noch an den verwahrlosten Jungen, der auf der Treppe des Goldhauses gesessen hatte. Erstens hatte sie sich sehr verändert, und zweitens glaubte er ja, sie sei tot. Natürlich rechnete er nicht damit, sich mit der Einladung an Signora Capriani einen Geist aus der Vergangenheit ins Haus geholt zu haben.
»Es war dreist von mir, Ihnen zu schreiben, Signor Guardi«, begann sie das Gespräch. Es fiel ihr schwer, ihn mit ihrem Namen anzusprechen. »Aber ich wollte unbedingt den Besitzer der Fiametta kennenlernen.«
Angelo lächelte. Ein Diener goß Wein ein. »Signora – wenn das dreist war, dann wünschte ich, öfter Dreistigkeit zu erleben.« Er rückte ihr den Stuhl zurecht, und sie setzte sich an den Tisch. In diesem Zimmer hatten ihr drei Männer zugeprostet, nachdem ihr Vater ihr mitgeteilt hatte, daß sie mit Michele Corsini verheiratet werden solle. Wenn sie die Augen schlösse – welche Bilder würden erscheinen? Doch sie ließ sie offen, sie mußte sich auf die Gegenwart konzentrieren.
Angelo nahm ihr gegenüber Platz. Der Diener servierte den ersten Gang. »Sie besitzen ein gutes Schiff, Signora. Kingfisher ist englisch, nicht wahr?«
Sie nickte. »Die Galeone wurde von einem Engländer gebaut.«
Angelo hob sein Glas. »Ich trinke auf den Gewinner des Rennens. Ich gratuliere Ihnen. Zunächst war ich etwas enttäuscht, verloren zu haben, aber jetzt, da ich sehe, welch bezaubernder Gegner mich besiegte, betrachte ich es als eine Ehre.« Ihre Gläser klangen glockenhell aneinander.
»Nicht Gegner«, widersprach Serafina sanft. »Ich zumindest sehe Sie nicht als Gegner.«
»Als was sehen Sie mich dann?«
Sie antwortete nicht. Seine dunklen Augen weiteten sich fast unmerklich, und ein Lächeln erschien in seinen Mundwinkeln. »Sie sind Witwe, soviel ich gehört habe«, sagte er.
Als der Diener die Vorspeisenteller abräumte, stellte Serafina fest, daß sie nicht wußte,
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