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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Silhouette, die sich am Horizont abzeichnete: die Südküste Spaniens!
    Wie jedesmal in einer solchen Situation ergriff ein berauschendes Hochgefühl von ihm Besitz. »Schau, Serafina!« rief er aufgeregt. »Land!«
    Sie schlug die Augen auf und blickte zur zerklüfteten Küste, die in der Ferne rosafarben schimmerte. Thomas hatte sie für ein innerlich verhärtetes Geschöpf gehalten – jetzt sah er mit einiger Bestürzung, daß sein Schützling zu weinen anfing.
    Sie legten in einer kleinen Felsenbucht an und überließen die Tartane dem unweigerlichen Schicksal, bei der nächsten Flut zerschmettert zu werden. Vor Schwäche zitternd und von hämmernden Kopfschmerzen gepeinigt, gestattete Serafina dem Engländer, ihr aus dem Boot ans Ufer zu helfen.
    Sie setzte sich auf einen Felsen und kämpfte verzweifelt darum, ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie hatte nicht mit diesem überwältigenden Gefühl, einer Mischung aus Freude und Furcht, gerechnet. Nur verschwommen nahm sie wahr, daß der Steuermann das Gepäck auslud. So wenig sie ihn mochte, so sehr bewunderte sie die Geschicklichkeit und Hartnäckigkeit, mit der es ihm gelungen war, die Tartane über Wasser zu halten – und sie verachtete sich für ihre Tränen und ihre Schwäche.
    Sechs Jahre war sie fort gewesen. Was würde sie in Marseille erwarten? Der Gedanke, daß sie vielleicht nichts mehr vorfände, daß alles, was die Familie besessen hatte, verloren sein könnte, war unerträglich – schlimmer als jeder Alptraum.
    Obwohl sie gute Pferde gekauft hatten, kamen sie nur langsam voran. Das Wetter war unbeständig, und die schlammigen Straßen machten die Reise beschwerlich. Wegen der Banditen, die durch das Land zogen, hatten sie auf alle Anzeichen von Wohlstand verzichtet.
    Während sie durch den Regen ritten oder wenn sie nachts wach lag, redete Serafina sich ein, daß zu Hause alles wie früher wäre, daß die Jahre in Nordafrika – fast die Hälfte ihres bisherigen Lebens – an Bedeutung verlieren würden. Sie wäre wieder Serafina Guardi anstatt Badr-al-Dujja – oder ein Junge wie jetzt. Marthe würde ihre gewohnte Ruppigkeit vorübergehend vergessen und sie unter Freudentränen in die Arme schließen. Und der schöne Angelo – der Held ihrer Kinderträume – würde wie damals beim Abschied lächeln und sie küssen. Alles würde wie immer sein – mit einem Unterschied! Wenn ihre Gedanken bei diesem Punkt ankamen, zog sie sich die Decke über den Kopf und verdrängte die Erinnerung an ihren Vater.
    Sie war noch immer wie ein Junge angezogen. Das sei klüger, hatte Thomas Marlowe gemeint und ihr auf einem Dorfmarkt entsprechende Kleider gekauft. Sie hatte es eingesehen und widerspruchslos die Mütze auf ihre kurzen Haare gesetzt.
    Bisher hatten sie kein Gespräch miteinander geführt, doch als sie an diesem Abend – eine Woche nach ihrer Ankunft an der spanischen Südküste – nach einem weiteren Tagesritt durch Regen und kalten Wind in einer Taverne saßen, sagte Serafina, nachdem sie sich satt gegessen hatten und ihre Kleider in der durch ein Kaminfeuer behaglich warmen Gaststube allmählich trockneten: »Was werden Sie tun, wenn wir nach Marseille kommen, Monsieur Marlowe?«
    Sie hatte den Eindruck, er sei ein wenig beschwipst von dem süßen Wein – aber noch nicht so sehr, um sie nach oben zu schicken und mit den Männern drüben in der Ecke zu würfeln.
    Er fuhr sich mit den Fingern durch die noch regenfeuchten Locken und schnitt ein Stück von dem Brotlaib ab, der zwischen ihnen lag. »Ich muß sechs Monate aufholen, in denen es mir nicht möglich gewesen war, etwas Sinnvolles zu tun.«
    Sobald er sie bei ihrer Familie in Marseille abgeliefert hatte, würde er sich verabschieden – so lautete die Übereinkunft, die Kara Ali mit ihm getroffen hatte.
    Scheinbar nur aus höflichem Interesse fragte Serafina: »Sie sind Seemann, nicht wahr, Monsieur Marlowe?«
    »Steuermann.« Ein Leuchten trat in seine Augen. »Aber bisher war ich immer nur auf fremden Schiffen – jetzt will ich mein eigenes steuern.«
    »Ich weiß.«
    Er starrte sie überrascht an. Angelo war in ihren Mädchenträumen immer der Prinz gewesen – Thomas Marlowe mit seinem muskulösen Körper und dem kantigen Gesicht war das genaue Gegenteil. Sie interessierte sich nur für seine Pläne, das war alles. Verdutzt unterbrach er ihre Gedanken mit der Frage: »Du hast mir damals zugehört?«
    »Ja. Hätte ich das nicht tun sollen?«
    »Ich habe keine Geheimnisse ausgeplaudert –

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