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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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feststellten, daß eines ihrer Boote fehlte. Einer seiner Arme war verbunden, doch das schien ihn nicht zu behindern. Er machte auf dem Pferd keine so gute Figur wie die Beduinen, die oft zum Haus des Arztes gekommen waren, und schon gar nicht wie Angelo. Er trieb das Reittier bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit an und erwartete offenbar das gleiche von ihr. Sie erreichten die Küste in bemerkenswert kurzer Zeit, nahmen den Pferden das Gepäck ab und versteckten sie in einem Dattelpalmenhain. Achmed würde sie am nächsten Tag dort abholen. Der Himmel war noch immer nachtschwarz, doch Serafina würde den Weg zum Meer auch in der Dunkelheit finden. Kara Ali und sie waren oft hiergewesen – offiziell, um Fisch zu kaufen oder Kranke zu besuchen. In Wirklichkeit, um das Meer zu sehen. Serafina wußte, daß diese riesige blaue Fläche bis an die Küsten von Frankreich und Italien reichte, doch es erschien ihr unfaßbar. Sie packte den Engländer am Ärmel und führte ihn zum Strand hinunter.
    Die Fischerboote tanzten mit zusammengerollten Segeln auf den sanften Wellen wie Blütenblätter auf einem Teich: Tartane, Feluken, Scherbecken. Im Mondlicht wirkten die Masten und Rümpfe zart und zerbrechlich. Thomas Marlowe, der neben Serafina durch das seichte Wasser stapfte, inspizierte ein Boot nach dem anderen und ließ seine kräftigen, schwieligen Finger über die Holzkörper gleiten. Und dann sagte er plötzlich: »Das da!«
    Er wählte die Tartane aus, weil sie nur einen Mast hatte. Er glaubte, wegen der Beeinträchtigung durch seine Verletzung nicht mehr bewältigen zu können, das Mädchen hatte er als unfähig zu jeglicher Hilfestellung eingeschätzt. Sie sah eher aus wie zwölf als wie sechzehn, Arme und Beine glichen dünnen Stecken, und bislang hatte er keine weiblichen Rundungen an ihr entdecken können. Sie sagte nichts, als er anbot, ihr an Bord zu helfen, umfaßte lediglich fest seine Hand und schwang sich über den Bootsrand hinauf.
    Die ersten Sonnenstrahlen berührten den Horizont, als Thomas den Anker lichtete und sich daran machte, die beiden Segel zu setzen. Plötzlich fühlte er sich zu Hause – mehr als jemals zuvor. Er rollte die Segel herunter und benutzte ein Ruder, um die Tartane vom Strand wegzubringen. Bald würden die Fischer kommen und ihre Netze einsammeln, die wie Spinnweben auf dem Sand lagen. Die Segel blähten sich, der Wind trieb das winzige Schiff ins offene Wasser hinaus. Das Mädchen saß, die Knie fest zusammengepreßt, ihr Gepäck vor sich, am Heck. Serafina, dachte er, als er die Segel so ausrichtete, daß sie die frische Brise optimal einfingen. Was für ein alberner Name!
    Als sie die Küste bereits ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten, glaubte er die Stimme der aufgebrachten Fischer zu hören. Er schüttelte seine Faust gegen all jene, die versucht hatten, ihn seiner Bestimmung zu entziehen. Eine wilde Freude darüber stieg in ihm auf, nun doch diesem Land entkommen zu sein, aus dem er keinen Ausweg gesehen hatte. Er warf einen Blick zu Serafina hinüber und suchte in ihrem Gesicht nach einer Gefühlsregung, doch da war nichts zu erkennen: Ihre kindlichen Züge waren völlig ausdruckslos. Unverwandt blickten die dunklen Augen zum Horizont.
    Im Laufe des Tages stellte Thomas fest, daß das Boot und das Mädchen etwas gemeinsam hatten: Sie waren beide widerborstig! Die Tartane, weil die beiden Segel und das Fehlen eines ordentlichen Ruderblattes es fast unmöglich machten, sie zu steuern. Das Mädchen auf subtilere Weise.
    Zuerst glaubte er, ihre Schweigsamkeit beruhe auf Schüchternheit oder Furcht. Er wußte, daß sie italienischer Abstammung, jedoch in Frankreich geboren war und die letzten sechs Jahre als Sklavin gelebt hatte. Er vermutete, es sei ihr peinlich, kein Tuch zu haben, um ihren Kopf zu bedecken und kein Gewand, das ihren Körper verhüllte. Nicht, daß da etwas zu verstecken gewesen wäre – aber in dem Versuch, höflich zu sein, bot er ihr, als sie weit genug vom Strand entfernt waren, sein eigenes an. Sie sah ihn an, als habe er eine ansteckende Krankheit, sagte: »Nein, danke, Monsieur Marlowe«, und starrte dann wieder mit gefalteten Händen aufs Meer hinaus. Da wurde ihm klar, daß sie ihn nicht für wert hielt, das Wort an ihn zu richten.
    Er meinte, die spanische Küste bei günstigem Wind in ein paar Tagen erreichen zu können. Gegen Ende des zweiten Tages begann der Wind ihn zu beunruhigen. Nicht die Richtung – er wehte von Süden, wie

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