Serafinas später Sieg
sie es benötigten –, aber er war so kühl geworden, daß Thomas befürchtete, er kündige ein Unwetter an. In dieser Nacht schlief er mit vielen Unterbrechungen. Jedesmal, wenn die tiefe Brise an den Segeln zerrte, fuhr er hoch.
In den frühen Morgenstunden spürte er das herannahende Unheil nicht nur in seinen Knochen, er sah es auch an den höher werdenden Wellen und hörte es am Knattern der Segel. Das Mädchen lag zusammengerollt schlafend am Heck. Er wickelte ein Tau um ihre Taille. Als Serafina hochfuhr, mußte er eine Hand auf ihren Mund pressen und sie anschreien, um zu erreichen, daß sie ihm zuhörte. »Ich binde uns beide an den Mast. Hier ist ein Eimer zum Wasserschöpfen.« Damit ließ er sie allein mit ihrem Zorn, rollte eiligst die Segel auf, wobei er schwer zu kämpfen hatte, daß der Sturm sie nicht in Fetzen riß. Seine einzige Hoffnung war, daß die Tartane wie eine Nußschale auf den Wogen tanzen würde – steuern konnte er sie jetzt nicht mehr.
Als er alles festgezurrt und gesichert hatte, kniete er sich neben Serafina, und beide schöpften Wasser aus dem Boot. Der Sturm wehte in starken Böen, denen kurze Perioden von Windstille folgten. Thomas, der die Auswirkungen von zwei schlaflosen Nächten spürte, sprach mit sich selbst, um sich wach zu halten, denn Serafina fiel als Gesprächspartner aus.
Er sprach über die Kingfisher. Vier Masten, voll getakelt mit Bramsegeln, schlankem Vordeck und einem Sprietsegel. Grünes Wasser schwappte auf dem Boden der Tartane. Thomas, den teilweise gelösten Verband wie eine flatternde Fahne am Arm, schöpfte das Wasser aus dem Boot – unermüdlich, mechanisch. Langer Kiel, schmaler Rumpf und nicht zu hochwandig, so würde sein Schiff aussehen. Denn den meisten Schiffen wurden die hohen Seitenwände zum Verhängnis. Die Kingfisher würde eine Schönheit sein, doch ihre Schönheit würde nicht in nutzlosen Verzierungen liegen, sondern in der Linienführung, der Zweckmäßigkeit.
Wieder peitschten Böen über das Deck, und Thomas unterbrach seine Träumereien. Eine Woge packte das Boot und hob es hoch in die Luft. Er hatte nur eine Möglichkeit, es am Kentern zu hindern – sein Körpergewicht. Daß er sich rückwärts warf, entsprang dem Instinkt und nicht einer Überlegung. Daß das Mädchen mitgerissen wurde und mit dem Kopf auf dem niedrigen Bootsrand aufschlug, war der Tatsache zu verdanken, daß er sie beide aneinander gebunden hatte.
Die Tartane hielt sich aufrecht, und Thomas bemerkte zwei Dinge: Daß der Himmel am Horizont heller wurde und daß Serafina leblos wie eine Stoffpuppe neben ihm lag. Ihre Augen waren geschlossen, und ein rotes Rinnsal lief von ihrer Schläfe über ihr Gesicht. Ihre Kleider, wie die von Thomas völlig durchweicht, klebten wie eine zweite Haut an ihrem Körper und zeigten ihm weibliche Formen, die er vorher nicht bemerkt hatte. Ihre Knochen waren zart wie die eines Vogels, aber ihre Brüste durchaus nicht flach und auch ihre Hüften nicht jungenhaft. Ihre Haut – kühl durch das Meerwasser – fühlte sich an wie Seide. Die kurzgeschnittenen Haare klebten an ihren Lidern und ihrem Mund. Behutsam strich Thomas sie beiseite.
Er tastete nach dem Puls an ihrem Hals, stellte beruhigt fest, daß sie noch lebte, und legte sie vorsichtig in den Schiffsrumpf. Der Sturm ließ allmählich nach, doch Thomas arbeitete unermüdlich weiter, schöpfte das Wasser der großen Welle aus dem Boot, die ihnen fast zum Verhängnis geworden wäre, zurrte Taue fest und überprüfte die Segel. Als er sich überzeugt hatte, daß die Tartane noch seetüchtig war, kehrte er zu Serafina zurück.
Ihre Augen waren immer noch geschlossen, und das Blut lief wie ein roter Bach über ihr bleiches Gesicht. Thomas kniete sich neben sie und begann, sein Gewand in Streifen zu reißen.
Die Wunde befand sich direkt unter dem Haaransatz und sah nicht so gefährlich aus, wie Thomas befürchtet hatte. Er wischte das Blut von Serafinas Gesicht und legte ihr einen provisorischen Verband an. Als er fertig war, schüttelte er sie leicht und rief ihren Namen.
Ihre Lider flatterten. Er zog sie hoch und lehnte sich mit ihr im Arm an die Bootswand. Er hätte seine Seele für einen Schluck Aquavit verkauft, aber natürlich hatte der abtrünnige Arzt so etwas nicht im Haus gehabt. Serafina ruhte an Thomas' Brust wie ein nach langer Flucht erschöpftes kleines Tier. Er sagte erneut ihren Namen und berührte zart ihre Wange, und als er aufblickte, entdeckte er die
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