Serafinas später Sieg
es wundert mich nur, daß du mich verstanden hast. Du kannst doch kein Englisch.«
»Sie haben französisch gesprochen.«
Verblüffung zeigte sich auf seinem Gesicht, doch gleich darauf wandte er sich wieder dem großen Anliegen seines Lebens zu. Er tauchte einen Finger in seinen Wein und begann, auf die verkratzte Tischplatte zu zeichnen: zwei Schiffe – nur flüchtig umrissen, aber einwandfrei zu erkennen. Dann deutete er auf die erste Zeichnung: »Das ist eine Galeere. Ich nehme an, du hast dich auf einer solchen befunden, als ihr überfallen wurdet – und der Korsar war sicherlich ebenfalls mit einer unterwegs.«
Sie nickte. Die Bilder der Schlacht erschienen vor ihrem geistigen Auge, doch sie hatte gelernt, sie zu betrachten, als gehörten sie zum Leben einer anderen Person. »Die Schiffe der Heiden sind anders als unsere«, sagte sie. »Länger – und wendiger.«
Sein Blick drückte fast so etwas wie Anerkennung aus. »Deshalb waren sie in der Lage, euch zu überwältigen. Deshalb hast du sechs Jahre lang als Sklavin an der Berber-Küste leben müssen.«
Serafina erinnerte sich daran, wie hilflos die Gabrielle den Angreifern ausgeliefert war, weil sie nicht die Möglichkeit hatte, ihre Kanonen in Schußposition zubringen.
»Und das«, Thomas zeigte auf die zweite Skizze, »ist ein Rundschiff oder eine Kogge – wie immer du es nennen willst. Ein hübsches kleines Frachtschiff, aber bei einer Korsarenattacke noch wehrloser als eine Galeere. Topplastig, schwer zu manövrieren und langsam wie eine Schnecke.«
Wieder nickte sie. »Die Mignon und die Petit Cœur waren Koggen. Sie hatten Stoffe für Italien geladen.«
Thomas' Skizzen waren fast getrocknet. Er begann, erneut zu zeichnen. Ein weiteres Schiff erschien auf der unebenen Kiefernholzplatte.
»Das hier – das ist das Schiff, das ich bauen will. Umlaufend Schießscharten, damit aus jeder Position geschossen werden kann, doppelt so schnell wie ein Rundschiff und besser zu manövrieren als eine Galeere, und es kann, im Gegensatz zu einer Galeere, das ganze Jahr über eingesetzt werden.«
»Die Kingfisher «, sagte Serafina, als der Engländer dem Wirt mit einem Handzeichen bedeutete, seinen Weinbecher aufzufüllen.
»Du hast dir sogar den Namen gemerkt!« staunte er.
»Wollen Sie sie in England bauen?« fragte sie.
Er senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Nein. Es wäre … unklug von mir, nach England zurückzukehren wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt.«
Sie betrachtete ihn eine Weile schweigend. »Wo dann?« hakte sie schließlich nach.
»Irgendwo«, antwortete er mit einer weit ausholenden Geste. »Spanien, Italien, Frankreich – wo immer es möglich ist. Sogar an der verdammten Berber-Küste, wenn es nicht anders geht. »Nein«, er rieb sich nachdenklich das Kinn, »vielleicht doch lieber nicht.«
»Bauen Sie das Schiff für mich, Monsieur Marlowe.«
Er schaute sie einen Augenblick verblüfft an, dann begann er zu lachen. »Für dich? Mein liebes…«
»Sie erwägen tatsächlich Spanien?« Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und musterte ihn kühl. »Spanien ist Englands Feind. Sie würden wirklich ein Schiff für die zweite Armada bauen?«
Zorn blitzte in seinen blauen Augen auf. »Ich baue das Schiff nur für mich!«
»Haben Sie denn das Geld dafür?«
»Du bist ganz schön neugierig für dein Alter. Ja, mein Kind, ich habe das Geld dafür. Jedenfalls für den Anfang, und dann werde ich schon jemanden finden, der erkennt, daß er nur gewinnen kann, wenn er mir weiterhilft.«
Die Umrisse des Schiffes glitzerten feucht im Kerzenlicht. »Ich besitze eine Stofftransportfirma in Marseille«, eröffnete Serafina ihrem Gegenüber. »Wir werden Schiffe brauchen.«
Er reagierte nicht etwa dankbar, sondern verärgert. »Erstens«, er nahm die Finger als Zählhilfe, »besitzen kleine Mädchen keine Firmen. Ihre Väter besitzen sie – oder ihre Brüder …«
»Mein Vater ist im Bagno von Algier gestorben, und ich habe keine Brüder. Das Geschäft gehört mir.«
Er fuhr fort, als habe sie nichts gesagt: »… zweitens sind die Schiffe, die vor sechs Jahren den Korsaren in die Hände fielen, inzwischen mit Sicherheit ersetzt worden falls eure Firma überhaupt noch existiert. Drittens«, er erstickte ihren Protest mit einer energischen Handbewegung, »wird die Kingfisher nicht dazu mißbraucht werden, an irgendwelchen Küsten entlangzuschippern und wie eine Barke Wollmützen und Damenstrümpfe zu transportieren.«
Serafina
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