Serafinas später Sieg
scharlachrotes Band ein, auf der anderen ein purpurrotes und trat ans Feuer, um dem Kaufmann die unterschiedliche Wirkung deutlich zu machen. Inzwischen züngelten nur noch vereinzelt Flammen hoch. Jacopo Capriani erhob sich widerwillig. Serafina stand ganz still, während der Kaufmann um sie herumging und die Bänder in ihrem Haar begutachtete. Sie spürte, wie seine Finger kurz ihren Kopf berührten, doch sie bewegte sich nicht. Die Szene erinnerte sie an den Sklavenmarkt in Algier – nur wurde hier nicht sie taxiert.
»Das scharlachrote wirkt besser, nicht wahr?« wagte sie einen neuerlichen Vorstoß.
Zu ihrer Überraschung nickte er. »Sie haben recht.« Er trat zum Schreibtisch, griff nach einer Schreibfeder und der betreffenden Preisliste und änderte die entsprechende Zahl.
Ein Mangel an Geld und ein noch bedrückenderer Mangel an Material zwangen Thomas Marlowe im Februar, nach Pisa zu reiten: Er nahm den Lehrling Cristofano mit. Sein Italienisch war zwar ganz ordentlich, aber gelegentlich mußte er doch nach Worten suchen, was recht peinlich sein konnte. Außerdem war Cristofano in Pisa geboren worden und kannte den Namen und die Lebensumstände jedes Bewohners der Stadt – und, obwohl noch nicht sechzehn Jahre alt, die besten Wirtshäuser und die kostengünstigsten Kurtisanen. Thomas beschloß jedoch, derartige Freuden aufzuschieben, bis sie einen Grund zum Feiern hätten. Das Wetter war schlecht – eine deprimierende Mischung aus Eisregen und Schnee. Es paßte zu dem düsteren Schluß, den Thomas inzwischen gezogen hatte: Daß er sich ein oder zwei Jahre dazu würde hergeben müssen, nutzlosen Tand an der Mittelmeerküste entlangzuschippern, um die Fertigstellung seines Schiffes finanzieren zu können.
In Pisa angekommen, mied er die teuren Palazzi, denn er war überzeugt davon, dort nur mit einem Empfehlungsschreiben über die Schwelle gelassen zu werden. Außerdem mußte er einen Kaufmann finden, der reich werden wollte – nicht einen, der bereits reich war.
Er lernte eine Menge Kaufleute kennen, doch sie waren ausnahmslos Pfennigfuchser, denen es schon Erregung verschaffte, beim Verkauf von einem Meter Spitze ein paar Lire mehr herauszuschlagen, und die einen Tagesritt nach Lucca als kühne Unternehmung betrachteten. Vorläufig hatte er noch genug Gold, um weiterzumachen – seine eigenen Bedürfnisse waren gering –, aber er mußte einen Geldgeber finden, bevor die Kingfisher zu Wasser gelassen würde. Ein Schiff seetüchtig auszustatten war teuer, und mit leeren Taschen konnte man keinen Handel treiben.
Der eisige Regen lief Thomas in den Kragen und tropfte von seiner Hutkrempe. Das Wetter erinnerte ihn an den März in London, doch er brauchte nur die herrlichen Häuserfassaden zu betrachten, hinter deren Fenstern schattenhaft die Umrisse vornehmer Damen zu sehen waren, um zu erkennen, daß er sich tausend Meilen entfernt von London befand. Allerdings ließ der graue Winterhimmel die Pracht der Bauten heute zu einem schmutzigen Einheitsgelb verblassen.
Cristofano begann, sich wegen seines leeren Magens zu beschweren. Thomas gab ihm eine Kopfnuß und steuerte auf sein nächstes Ziel zu. Sie wurden in einer eiskalten Halle stehen gelassen. Das Wasser, das von ihren Kleidern rann, bildete Pfützen auf dem Fliesenboden. Gelangweilt setzte Cristofano sich auf eine geschnitzte Truhe und zeichnete mit einer Fingerspitze Bilder auf die beschlagene Fensterscheibe. In dem großen Kamin brannte kein Feuer. Thomas' Atem wich als Dampfwolken aus seinem Mund. Es war ein mittelgroßer Bau, aus senfgelbem Gips wie alle Häuser in Pisa –, aber im Unterschied zu den anderen, die sie bisher betreten hatten, atmete dieses Verfall und Vernachlässigung. Die Teppiche waren schmuddelig, in den Ecken der Treppenstufen lagen Staubbälle. Auf Thomas' geflüsterte Frage antwortete Cristofano ebenso leise, Jacopo Capriani sei schon ziemlich alt und Witwer. Also gab es keine Frau, die die Dienstboten anleitete und etwas gegen die Verwahrlosung des Hauses hätte tun können. Thomas lehnte sich an die Wand und gähnte. Er hatte das sichere Gefühl, umsonst hierhergekommen zu sein.
Gerade überlegte er, ob sie wieder gehen sollten, als er sie sah. Ein kleines, schlankes Mädchen in Grau – mit einem Armvoll Bücher. Zuerst schaute er hin, weil er dachte, daß sie möglicherweise hübsch sei, und dann, weil er sie erkannte.
Serafina! Er war bereits durch die halbe Halle gestürmt, als der Diener auf ihn zugelaufen
Weitere Kostenlose Bücher