Serafinas später Sieg
entmutigen lassen. Sie hatte ein Ziel vor Augen, und das würde sie eines Tages erreichen. Vorläufig begnügte sie sich mit ihrem Platz im Hause des Kaufmanns Capriani und ihrer Stellung als Buchhalterin. Es gab noch zwei weitere Angestellte dort: Amadeo und Bastien. Amadeo wäre recht brauchbar gewesen, wenn er das Interesse an seinem Erscheinungsbild und den Dienstmädchen nicht über das an seiner Arbeit gestellt hätte. Bastien fälschte, wie sie sehr schnell herausfand, die Zahlen in den Kontobüchern und steckte die Differenz in die eigene Tasche. Als Serafina noch in der Küche arbeitete, hatten die beiden ihr manchmal mehr oder weniger versteckte Angebote gemacht, als Kollegin befand sie sich jedoch in einer Ausnahmestellung und mußte mit Respekt behandelt werden. Eine weibliche Angestellte! Serafina bekam im Kontor des öfteren mit, wie sie sich über die »offenkundige Senilität« ihres Arbeitgebers mokierten, die ihn dazu bewogen hatte, eine Frau als Buchhalterin einzustellen.
Wenn sie jemals etwas empfand, das Ähnlichkeit mit Leidenschaft hatte, dann geschah dies bei der Durchsicht von Jacopo Caprianis Kontobüchern. In ihren Augen war er ein völlig unfähiger Geschäftsmann, der die Möglichkeiten nicht erkannte, es von Wohlstand zu Reichtum zu bringen. Allein die Tatsache, daß er kein Schiff besaß! Serafina zog die schweren Vorhänge zu. Plötzlich sah sie wieder die beiden Skizzen vor sich, die Thomas Marlowe, der englische Steuermann, in einem spanischen Gasthaus mit weinfeuchten Fingern auf den Tisch gezeichnet hatte. Jacopo Caprianis Überlandreisen mit den Lasttieren waren ebenso strapaziös wie zeitraubend. Ein gut ausgerüstetes, mit Waffen bestücktes Schiff wäre bedeutend wirtschaftlicher. Und die Waren, mit denen er handelte! Der Mann kannte jede Familie von Bedeutung von Marseille bis Neapel. Er könnte mit Gewürzen, Silber und Seide handeln, statt dessen bot er wertlosen Tand feil. Wieder fiel ihr Thomas Marlowe ein – und seine verächtliche Stimme: »Die Kingfisher wird nicht wie eine Bark Wollmützen oder Damenstrümpfe transportieren.« Und Jacopo Capriani handelte mit seidenen Kokarden und Bernsteinohrringen!
Sie fand den Kaufmann in seinem Arbeitszimmer. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen Bündel von Bändern. Der Abend war kalt, doch im Kamin flackerte nur ein kümmerliches Feuer. Der alte Mann trug ein dickes Samtgewand und einen pelzbesetzten, ärmellosen Übermantel. Mit einem Knicks legte Serafina ihm die Kontobücher vor. Das Gewirr der Bänder aus Seide, Satin und Samt schimmerte im Licht der Kerzen in satten Farben – eine in der schäbigen Umgebung unpassend, ja frivol wirkende Pracht.
Jacopo Capriani hielt die Bücher auf Armeslänge von sich, um sie lesen zu können, wobei seine wäßrigen Augen sich vor Anstrengung verengten. »Scheint mir zufriedenstellend«, meinte er.
Das war eigentlich das Zeichen für Serafina, sich mit einem neuerlichen Knicks zu entfernen – wieder einmal hatte sie für einen Tag ihre Pflicht erfüllt –, doch diesmal blieb sie. Was ihr Arbeitgeber als zufriedenstellend betrachtete, sah sie in steigendem Maße als unbefriedigend an. Ob es Angelo ebenso gegangen war, als er für ihren Vater arbeitete? Die schönen Bänder auf dem Tisch mochten ihr nicht gehören, aber sie lagen ihr dennoch am Herzen. »Für das scharlachrote Band könnten Sie mehr verlangen als für das purpurrote«, hörte sie sich sagen. »Damit würden Sie tausend Lire mehr im Jahr verdienen.«
Jacopo Capriani sah sie verständnislos an. »Ich habe beide Sorten in Neapel zum selben Preis gekauft – mit welchem Recht könnte ich für das scharlachrote mehr verlangen?« Er zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und putzte sich die Nase.
Sie kämpfte den aufsteigenden Unwillen nieder. »Es sieht besser aus«, argumentierte sie geduldig. Sie zog ein scharlachrotes und ein purpurfarbenes Band aus dem Knäuel und legte sie nebeneinander über ihr Handgelenk. Der weiche Stoff wirkte wie eine Liebkosung auf der Haut.
Der Kaufmann warf einen flüchtigen Blick darauf. »Sie sind beide rot«, konstatierte er unwirsch. »Scharlachrot, purpurrot – was macht das für einen Unterschied? Wenn ich für das scharlachrote mehr berechne, werden die Damen nur noch das purpurrote Band kaufen.«
Er ist nicht dumm, dachte Serafina – er hat nur keine Phantasie. Sie nahm ihre Kopfbedeckung ab und ließ die Haare offen herunterfallen. Dann flocht sie auf der einen Seite ein
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