Seraphim
Gänsehaut gebildet, und nun wuchs von Moment zu Moment ihr ungutes Gefühl. »Hast du die Tür zur Küche zugemacht?«
»Natürlich. Wie immer.«
Die Küchentür stand einen Spalt breit offen.
Bettine hob die Kerze. Ein Stück des Küchenregals war zu sehen, mehr nicht. »Komm!« Sie trat zu der Tür und schob sie auf.
Das Licht der Kerze fiel auf den großen Herd mit der schweren Eisenabdeckung, auf der ein kleiner Haufen Kohlen unter einer dicken Schicht Asche vor sich hin glomm, dann auf das Regal mit den Töpfen und Pfannen. Und den Tisch, der vor die Hintertür geschoben worden war. Ein sanfter Luftzug weht durch die zertrümmerte Scheibe in der Tür.
Ein schwerer Geruch stieg Bettine in die Nase. Wein, vermischt mit ... was?
Sie betrat die Küche. Dünnes Glas splitterte unter ihren nackten Sohlen, bohrte sich schmerzhaft in ihr Fleisch, aber sie bemerkte es kaum. Die Tür schwang weiter auf und prallte gegen ein Hindernis. Der Geruch war jetzt übermächtig. Exkremente.
Bettine drehte sich der Magen um.
Langsam griff sie nach dem Türblatt, zog es zu sich heran, damit sie in die dahinterliegende Ecke blicken konnte.
Im nächsten Moment begann sie zu kreischen.
Die Türmer von Nürnberg hatten die letzte Nachtstunde noch nicht geschlagen, als eine nur in ein Nachtgewand gekleidete Frau schreiend durch die Burgstraße rannte. Am Rathaus angekommen, hämmerte sie so lange jammernd und klagend an die Eingangstür, bis ihr endlich einer der Ratsdiener aufmachte, der seine Wohnung in einem der Nebengebäude hatte. Die Frau fiel ihm in die Arme und krallte sich an seinen Schultern fest. Ihre nackten Füße hinterließen auf dem Straßenpflaster blutige Abdrücke.
»Mein Mann«, schluchzte sie unter Stöhnen. »Mein Mann, Peter Hoger – er ... er ... ist ein Engel!«
* * *
Die Hinrichtung Joachim Gunthers war auf die erste Stunde nach Sonnenaufgang festgesetzt worden. Gegen Ende der Nacht hörte Katharina, wie Sebald zu dem Mann in die Zelle ging und ihn zu einem letzten Mahl holen wollte. Gunther lehnte jedoch ab, und der Lochwirt zog sich grummelnd zurück.
»Herr Sterner?«, fragte Joachim durch das Loch in der Wand. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Möchtet Ihr Euch ebenfalls Eurer Last entledigen?«
Richard hob den Blick. Auf seinen Zügen lag ein abweisender Ausdruck. »Was, wenn ich Euch beichte, ein Mörder zu sein?«, fragte er kühl.
Katharina zuckte zusammen. Sie versuchte, seinen Blick aufzufangen, versuchte herauszufinden, wie er das gemeint hatte, doch er wich ihr aus. »Lasst mich einfach in Ruhe«, knurrte er, und sie wusste nicht, ob sein Zorn ihr oder Gunther galt.
Noch einmal verging einige Zeit. Die Laterne, die Sebald dagelassen hatte, verlosch, und tiefe, drückende Dunkelheit senkte sich über sie. Katharina fragte sich, warum Sebald nicht kam und nach ihr sah, wie er es versprochen hatte. Sie vermutete, dass es an Richards Gegenwart lag. Joachim Gunther begann erneut zu beten, doch diesmal tat er es leise murmelnd, und Katharina verstand nicht, was er sagte. Sie hörte jedoch, dass Paul in der Zelle in das Murmeln einfiel.
»Gott segne dich!«, sagte er, nachdem sie geendet hatten.
Dann war es soweit. In den Gängen des Lochgefängnisses erklangen schwere Stiefeltritte. Zwischentüren wurden aufgeschlossen und schließlich Gunthers Zelle.
»Seid ihr bereit?«, fragte eine wohlbekannte Stimme, die Katharina einen eisigen Schauer über den Rücken rinnen ließ.
Bertram war gekommen, um Joachim Gunther abzuholen.
Die Todeszellen lagen dicht am Eingang zum Lochgefängnis, doch es hörte sich an, als führe man Gunther nicht auf direktem Wege hinaus auf die Gasse, sondern, im Gegenteil, tiefer in die verwinkelten Gänge des Verlieses hinein.
»Sie bringen ihn in den Rathaussaal«, erklärte Richard Katharina. »Es heißt, irgendwo gibt es eine geheime Treppe, die auf direktem Wege nach oben führt.«
Die Schritte verklangen, und Ruhe kehrte in das Loch zurück. Es wurde völlig und unerträglich still.
Bis zu dem Moment, in dem Katharinas Zellentür geöffnet wurde.
Der Schein einer der Tranfunzeln aus den Gängen fiel herein, und er war nach den Stunden in Dunkelheit fast zu hell.
Sebald betrat das Verlies, und hinter ihm kam ein Mann, den Katharina noch nie zuvor gesehen hatte. Er trug einen ledernen Harnisch und ein Schwert am Gürtel, und beides gab ihm ein amtliches Aussehen. Erst als er sich an Sebald wandte und ihm mit knappen Worten dankte, erkannte Katharina
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