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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Mordopfer Peter Hoger hieß und in der Krämergasse wohnte. Und auch dort, als ihm eine schmächtige und missgünstig aussehende Dienstmagd mit sehr blauen Augen den Zutritt verweigern wollte, öffnete es ihm die Türen.
    Die Magd führte ihn eine Treppe hinunter in eine halb unter der Erde liegende Küche, vor deren Tür ein Stadtbüttel Wache stand.
    Der Mann las das Schreiben des Getreidehändlers erst sorgfältig durch, bevor er zögernd den Durchgang freigab. »Rührt nichts an!«, befahl er Richard. »Bürgermeister Zeuner hat mir den Auftrag gegeben, dafür zu sorgen, dass hier drinnen alles genau so bleibt, wie es war, bis er Zeit hat, sich genauer umzusehen.«
    Der Tote lag hinter der Tür, sein linkes Bein blockierte den Zugang teilweise. Richard musste sich durch einen schmalen Spalt zwängen, wenn er vermeiden wollte, die Leiche zur Seite zu schieben.
    Der Gestank von Exkrementen raubte ihm den Atem.
    Richard hielt sich die Nase zu, während er seine Blicke über die Szenerie schweifen ließ. Hoger war ein großer, fast kahlköpfiger Kerl gewesen. Er lag halb auf der Seite, halb auf dem Bauch, der ihm unter dem Leib hervorquoll. Mit angewiderter Faszination betrachtete Richard die blonden Haare, die aus seiner Unterhose bis zum Bauchnabel hinaufwuchsen und die von dem Blut, das aus einer tiefen Bauchwunde gequollen war, klebten.
    Das Nachtgewand hatte der Mörder Hoger ausgezogen. Es lag säuberlich über einen Hocker drapiert und schien in seiner Makellosigkeit Richard verspotten zu wollen. Der Fußboden, die Wände, Tisch und Regal, sogar die Decke hatte Blutspritzer abbekommen. Nur das Nachtgewand nicht. Vorsichtig, um nicht in die klebrigen Lachen zu treten, ließ sich Richard neben der Leiche auf ein Knie sinken.
    Die Flügel waren kleiner als jene, die man Matthias angebracht hatte, und ein paar graue Federn zeigten, dass sie von einem nochjungen Schwan stammten. Ein Flügel war aus dem klaffenden Schnitt in Hogers Rücken gerutscht und lag nun neben dem Toten auf dem Boden. Das Knorpelgewebe, das der Mörder durchtrennt hatte, als er dem Vogel die Flügel abgeschnitten hatte, glänzte fahlweiß in all dem Blut.
    »Habt Ihr genug gesehen?« Der Wächter hatte seinen Kopf zur Tür hereingestreckt. Er sprach mit flacher Stimme.
    Richard stand auf. Unwillkürlich wischte er sich die Hände an der Hose ab, obwohl er weder Blut noch Leiche berührt hatte. »Ja.« Er bedankte sich bei dem Mann, verließ das Haus und kehrte mit schmerzendem Kopf und voller wild umhertanzender Gedanken zum Rathaus zurück.
    Er kam gerade noch rechtzeitig, um in der Menge der Schaulustigen, die sich auf dem Marktplatz gebildet hatte, einen Platz zu finden.
    Die Menschen hatten Fackeln in den Händen, denn noch immer war es dunkel. Neugierige Blicke waren auf die Rathaustür geheftet, und immer wieder steckte man die Köpfe zusammen, um miteinander zu tuscheln. Niemand sprach laut, denn jeder wartete gebannt, und es waren nicht wenige unter den Schaulustigen, die sich auf das bevorstehende blutige Spektakel freuten.
    Ein grobschlächtiger Mann rieb sich in freudiger Erwartung immer und immer wieder die Hände.
    »Er kommt!« Der Ruf entstand dicht bei der Rathausmauer und setzte sich rasch durch die Menge hin fort.
    »Er kommt!«
    Die Rathaustür schwang auf, und es war ein genau vorausberechneter Moment, denn gleichzeitig färbte im Osten die aufgehende Sonne den Himmel blutrot. Der erste, der ins Freie trat, war der Stadtrichter, ein Mann von kleiner, schmächtiger Statur, dessen schütteres Haar einen flammenden Rotton hatte. Er war erst kürzlich ernannt worden, und Richard kannte ihn nicht. Dann folgten die beiden Schöffen, die in Gunthers Fall seine Befragung beaufsichtigt und durchgeführt hatten. Da die Untersuchungen schon einige Wochen zurücklagen und die Zuständigkeit der Schöffen im kurzen Rhythmus von vierzehn Tagen wechselten, gehörte Jörg Zeuner nicht zu ihnen. Der Richter und auch die Schöffen trugenlange, mit unzähligen Falten versehene schwarze Gewänder und große weiße Kragen. Die Tracht von Gelehrten. Nach ihnen kamen sechs Stadtbüttel in voller Rüstung. Ein jeder von ihnen hielt eine brennende Fackel in der Hand. Hinter ihnen schließlich schritt Joachim Gunther ins Freie. Im flackernden Licht wirkte seine Miene ausdruckslos und flach.
    Man hatte ihn in eine weiße leinene Hose und ein ebenfalls weißes leinenes Hemd gekleidet und ihm eine Kappe auf den Kopf gesetzt. Seine Hände waren vor dem

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