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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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verlöschenden Lampe war der hübsche Farbton ihrer Iris zu einem stumpfen Grau verblasst. In seiner Brust erzitterte etwas unter ihrem Blick.
    »Ihr habt Euren Bruder nicht getötet«, sagte er leise. »Und es war auch kein Dämon. Kein Teufel, sondern ein Mensch. Und sie werden ihn dafür richten.«
    »Faro.« Sie klammerte sich an Richard fest, als könne er ihr irgendeinen Halt bieten, von dem er selbst nichts wusste. »Ihr müsst mir helfen, seine Unschuld zu beweisen!«
    Er dachte an Pömer, an den geheimen Gang, an den toten Christenjungen in dem Keller ... Es erforderte alle Kraft, die er aufbieten konnte, zu nicken. »Ich helfe Euch«, versprach er, und in Gedanken setzte er hinzu: Egal, was es mich kostet.
    »Dazu ist später noch Zeit.« Gunthers Stimme zerriss den Bann, der sich zwischen sie gelegt hatte. »Jetzt solltet Ihr mit mir beten.«
    Katharina machte sich los, aber dann zögerte sie, von Richard fortzurücken. Sie näherte ihr Gesicht dem seinen, und bevor ihm klar wurde, was sie vorhatte, gab sie ihm einen unendlich sanften Kuss auf die Lippen. »Danke«, flüsterte sie.
    Dann wandte sie sich dem Mauerloch zu, faltete die Hände zum Gebet und senkte ihren Kopf auf die Brust.
    »Barmherziger Gott, schau auf diese Frau, die ihre gesamte Schuldvor dich getragen hat, und gib ihr ein Zeichen deiner Vergebung ...« Er redete noch eine ganze Weile so weiter, doch Richard vermochte nicht, ihm zu folgen. Er hatte die Fingerspitzen auf seinen Mund gelegt und versuchte, die Erinnerung an Katharinas federleichte Berührung dort festzuhalten.
    »Jetzt lasst uns schweigen«, sagte Gunther schließlich.
    Tiefe Stille senkte sich über die Zellen, und in sie eingehüllt verging der Rest der Nacht.

15. Kapitel
    Bettine Hoger erwachte lange vor Sonnenaufgang und fragte sich, was sie geweckt haben mochte. Sonst schlief sie meistens bis weit in den Vormittag hinein, weil die Tränke, die Katharina ihr gab, sie müde machten.
    Heute jedoch verspürte sie eine innere Unruhe, die gänzlich anders war als jene, die die melancholia verursachte. Etwas stimmte nicht. Aber sie wusste nicht, was es war.
    Sie setzte sich auf.
    Die Vorhänge an ihrem Bett waren, wie immer, nicht ganz zugezogen, so dass sie zum Fenster schauen konnte. Draußen war es ebenso stockfinster wie im Zimmer.
    Und dann wusste sie, was nicht stimmte.
    Hogers Zimmer lag direkt neben ihrem, und sonst waren die Geräusche, die er im Schlaf von sich gab, durch die dünnen Wände deutlich zu hören: das ohrenbetäubende Schnarchen, sein angespanntes Gemurmel, wenn es in seinem Geschäft Probleme gab, oder auch seine kräftigen Darmwinde, wenn er zu Abend Zwiebeln gegessen hatte.
    Jetzt jedoch vernahm Bettine nichts von alledem.
    Sie lauschte, ob Hoger vielleicht unten im Haus rumorte. Manchmal holte er sich mitten in der Nacht etwas zu essen oder zu trinken.
    Aber auch der Rest des Hauses lag in tiefer, fast unnatürlicher Stille.
    Bettine schwang die Füße aus dem Bett. Auf nackten Sohlen huschte sie zu ihrer Zimmertür, öffnete sie. Stille. Dick wie Sirup kam sie Bettine vor, und ihre Ohren fühlten sich an wie zugepfropft.
    Sie ging zum Zimmer ihres Mannes und warf einen Blick hinein. Das Bett war leer, aber Decke und Laken waren zerknüllt und hingen zu Teilen auf den Boden.
    »Hoger?« Bettines Stimme hörte sich klein und zaghaft an in den langen Fluren des Hauses.
    Sie erhielt keine Antwort, also ging sie den Gang entlang und die Treppe nach unten.
    »Hoger?«, rief sie wieder, etwas mutiger jetzt.
    Im Untergeschoss, wo die Küche und die Zimmer der Dienstboten lagen, regte sich etwas. Dann wurde eine Tür geöffnet.
    »Herrin?« Es war Edith. Sie gähnte. »Stimmt etwas nicht?«
    Schnell lief Bettine zu ihr hinunter. Edith hatte eine Kerze angezündet, die ihren Schatten zu einer grotesken Gestalt verzerrt auf die Wand hinter ihr warf.
    »Der Herr ist nicht da.«
    »Er wird draußen im Hof sein«, vermutete Edith. Sie trug nur ein leichtes Nachtgewand, und als Bettine ihr jetzt die Kerze abnahm, griff sie nach dem tiefen Ausschnitt und hielt ihn zu. Draußen im Hof befand sich die Latrine des Hauses.
    Bettine schüttelte den Kopf. »Ich habe schon zweimal nach ihm gerufen. Wenn er auf dem Abtritt wäre, hätte er mich gehört.«
    »Vielleicht will er nicht gestört werden. Er hat gestern Abend bei der Aalpastete reichlich zugelangt, und Ihr wisst, dass er sie nicht gut verträgt.«
    Bettine war nicht überzeugt. Auf ihren Armen hatte sich eine

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