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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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wiedergekehrt, um nach ihr zu sehen. Aber sie hatte vergebens nach einem Anzeichen von Zuneigung oder gar Zärtlichkeit in seinen Gesten und in seiner Miene gesucht. Er hatte ihre Halswunde untersucht und war ihr dabei sehr nahe gekommen. Trotzdem hatte er sie nicht mehr als dringend nötig berührt und war darüber hinaus wortkarg, fast mürrisch gewesen.
    Katharina konnte sich diese Reaktion nicht erklären, aber sie hätte sich in diesem Moment lieber die Zunge abgebissen, als ihrer Mutter ihre wahren Gedanken zu enthüllen. Zuerst musste sie sich über ihre eigenen Gefühle im Klaren sein, dachte sie.
    »An die Ereignisse im Lochgefängnis«, log sie Mechthild also an. »An Sebald.«
    »Du hast mir noch kein Wort davon erzählt.« Sanfter Tadel schwang in Mechthilds Worten mit, und Katharina konnte ihre Mutter verstehen. Sie hatte sich bisher tatsächlich geweigert, davon zu berichten, was im Lochgefängnis geschehen war. Jede Frage danach hatte sie mit einem stummen Kopfschütteln abgewehrt.
    Jetzt jedoch fühlte sie, dass Mechthild auf einer Erklärung bestehen würde, und sie schilderte die Ereignisse so ausführlich wie möglich. Mechthild hörte aufmerksam zu, stellte ab und zu eine Zwischenfrage, und als Katharina mit Sebalds Freitod endete, sah sie betroffen aus.
    »Er muss vor Angst wahnsinnig geworden sein«, sagte sie, und Katharina hätte fast erwidert: »Ja, wegen deines Mannes!« Sie biss sich auf die Lippe. Ihr Innerstes fühlte sich an wie mit Nägeln gespickt.
    Bertram. Der Henker.
    Sie knirschte mit den Zähnen und hielt sich vor Augen, dass Bertram, wie Bürgermeister Zeuner und Prior Claudius auch, die Wasserprobe als gutes Mittel angesehen haben musste, auf möglichst wenig qualvolle Weise Katharinas Unschuld zu beweisen. Sie sagte sich, dass er zusammen mit Richard und Arnulf versucht hatte, sie vor dem Ertrinken zu retten, dass er selbst dafür gesorgt hatte, dass nach dem Unglück mit dem ertrunkenen Jungen der Flaschenzug repariert worden war, dass offensichtlich der Schmied gepfuscht hatte, dass Bertram nichts dafür konnte, wie dramatisch die ganze Sache geendet hatte ...
    Aber all dieses Wissen schaffte es nicht, die Vorstellung davon aus Katharinas Geist zu verdrängen, wie ihr Stiefvater sich über sie beugte und in den dunklen, kalten Fluss stieß.
    »Die halbe Stadt war wahnsinnig«, erinnerte sie ihre Mutter und erstickte fast an dem Unausgesprochenen.
    »Stimmt.« Mechthild legte den Kopf schief. »Aber jetzt hat sich die Lage wieder beruhigt.«
    Plötzlich fühlte sich Katharina in ihrem eigenen Haus wie eingesperrt. Das Gefühl war nicht so schlimm wie unten im Loch, aber es reichte, dass sie aufseufzte. »Erzähl mir ein bisschen darüber, wie es in der Stadt aussieht.« Sie wusste, dass es Bertrams Gewohnheit war, Mechthild lange Berichte über die Zustände in den Straßen und auf den Plätzen abzuliefern.
    »Auf dem Großen Markt liegen eine ganze Reihe Buden in Trümmern. Die Leute sind dabei aufzuräumen, aber es wird dauern, bis alle Spuren des großen Wahnsinns beseitigt sind.«
    »Hat es Brände gegeben?«
    »Einige. Beim Koberger und unten an der Fleischerbrücke, und jemand hat in seinem Wahn die Linde am Karthäusertor in Brand gesetzt, so dass sie auf ein Haus gestürzt ist. Die Stadt hat übrigens bereits einen neuen Lochwirt eingestellt. Sein Name ist Gabriel Dengler.«
    »Was passiert mit der armen Sigrid?«
    »Hartmann Schedel hat sie als Pfründnerin im Heilig-Geist-Spital untergebracht. Man kümmert sich dort gut um sie. Sie ist ja keine arme Frau.«
    Katharina musste an die Verhältnisse denken, in denen Sebald und seine Mutter in der Lochwirtswohnung gelebt hatten. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass Sebald mit seiner Arbeit gutes Geld verdient hatte, auch wenn ihre Mutter es ihr jetzt noch einmal versicherte.
    »Es muss schrecklich für sie sein!«, seufzte Mechthild. »Erst den einen Sohn zu verlieren und jetzt auch noch den zweiten.«
    Das brachte Katharinas Gedanken auf Lorenz, den geheimnisvollen Bruder von Sebald. Bei einem seiner Besuche hatte Richard Katharina gegenüber fallen lassen, dass Hartmann Schedel ihm von Lorenz Groß erzählt hatte. Daraufhin hatte Katharina Richard gebeten, sein Wissen mit ihr zu teilen, und zu ihrer Erleichterung hatte er es auch getan – wenn auch mit knappen Worten.
    Lorenz war nicht nur das Hirngespinst einer verwirrten alten Frau gewesen, wie Katharina immer gedacht hatte, sondern er hatte tatsächlich

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