Seraphim
Bürgermeister brauchte eine Weile, bevor er nicken konnte. Jetzt waren nicht nur seine Augen rot, sondern auch seine Nase. Wieder wischte er darüber. »Das war der Grund, warum ich dafür gesorgt habe, dass sie zum Rabenstein mit musste!«, erklärte er. »Ich wollte sie dort irgendwie befreien ... während der Hinrichtung ... sobald alle Augen auf den Henker gerichtet waren.«
Richard warf den Kopf in den Nacken. »Aber dann begann der Aufruhr, und Arnulf und ich kamen Euch zuvor!«
»Sie war bei Euch?« Zeuner beugte sich vor. Seine Hände umschlossen die Tischkante. »Zwischen dem Rabenstein und der Sache mit Sebald Groß war sie bei Euch?«
Richard nickte nur.
Zeuner tastete in seinen Taschen nach einem Taschentuch, zog eines hervor und schnäuzte sich. »Dann habt Ihr ihr an jenem Tag wahrscheinlich das Leben gerettet.«
»An jenem Tag, ja.« Richard kam sich gemein vor, dem Bürgermeister nach wie vor etwas vorzumachen. Kurz überlegte er, ob er Zeuner erzählen sollte, dass Katharina noch am Leben war, aber ein überraschend heftiges Gefühl von Widerwillen hielt ihn davon ab. Er versuchte, es sich zu erklären, und kam zu dem Schluss, dass es Eifersucht war. »Wusste sie davon?«, fragte er. »Dass Ihr vorhattet, sie zu befreien, meine ich.«
»Nein. Ich habe sie nur gebeten, mir zu vertrauen, denn die Leute sind aufmerksam, wenn es um Hinrichtungen geht. Niemand sollte einen Ausdruck von Hoffnung in Katharinas Gesicht sehen auf dem Weg zum Rabenstein. Darum erzählte ich ihr nichts von meinem Plan.«
»Und die Sache mit der Wasserprobe?«
Wieder schniefte Zeuner. Das Taschentuch hielt er in der Faust, benutzte es jedoch nicht noch einmal. »Nachdem der Lochwirt sich umgebracht hatte und Ihr nach oben ins Rathaus gingt, da wollte ich mich ihr offenbaren. Aber dieser elende Inquisitor kam dazwischen. Und Prior Claudius. Zum Glück Prior Claudius, jedenfalls dachte ich das vor der Wasserprobe noch.«
»Ihr hofftet, dass die Probe Katharinas Unschuld zweifelsfrei beweisen würde«, vermutete Richard. »Oder hattet Ihr etwa vor, sie auch von dort heimlich zu entführen? Das wäre Euch nur schwerlich gelungen, schätze ich.« Nicht einmal Arnulf hätte das geschafft, fügte Richard in Gedanken hinzu. Nicht mal er.
Zeuner holte Luft. »Ich wollte nicht, dass sie stirbt ... die Kranwinde ... man hatte mir gesagt, sie sei repariert worden ... und Meister Bertram, er gab mir zu verstehen, dass er dafür sorgen würde, dass Katharina nichts geschieht ...« Er stieß einen gequälten Laut aus, der Richards Eifersucht ein wenig verjagte. Dann riss ersich zusammen. »Warum habt Ihr nicht gewartet, bis die Büttel die Leiche zurück in die Stadt brachten? Warum habt Ihr Eurem Mann befohlen, sie eigenhändig zurückzutragen?«
Nachdem Katharina einigermaßen zu sich gekommen war, hatte Richard sie gebeten, so zu tun, als sei sie wirklich tot. Arnulf hatte sie auf die Arme gehoben und durch das Stadttor getragen, ohne dass einer der Bürgermeister dagegen protestiert hatte.
Auf diese Frage wusste Richard keine Antwort, aber es war auch nicht nötig, eine zu geben, denn jetzt weiteten sich Zeuners gerötete Augen. »Ihr auch?«, flüsterte er.
»Was meint Ihr?«
»Ihr habt sie auch geliebt!« Plötzlich klang der Bürgermeister völlig sicher. Er stützte sich mit den Fäusten auf dem Pult ab und stemmte sich in die Höhe. Übergangslos wirkte er um zwanzig Jahre älter.
Richards wandte sich ein wenig ab, weil es ihm kaum gelang, das Leid des Mannes auszuhalten. Dabei fiel sein Blick auf eine Reihe von Kleiderhaken neben der Tür. Zeuners großer dunkelblauer Samthut hing dort, und ein zweiter, schwarzer mit einer großen Feder.
Richard achtete nicht weiter darauf, denn zu sehr beschäftigte ihn die Frage, die Zeuner ihm gestellt hatte.
Liebte er Katharina?
Er dachte an die Verzweiflung, die er empfunden hatte, als er sie für tot gehalten hatte. An die Schwäche, die er gespürt, den Schmerz, der sein Herz zerrissen hatte, bis zu dem Moment, in dem er ihren schwachen Pulsschlag unter seinen Fingern gespürt hatte.
Er stand auf, weil ihn die Gefühle überwältigen wollten.
»Ihr liebt sie auch!« Zeuner klang völlig sicher.
Richard wich bis zur Tür zurück. »Braucht Ihr mich noch?«
Zeuner rieb sich mit dem Taschentuch über das Gesicht. »Sagt mir, wo Ihr sie beerdigt habt!«, bat er mit Grabesstimme.
Diesmal schaffte Richard es nicht, ihm etwas vorzumachen. »Kommt in mein Haus, sobald Ihr
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