Seraphim
Stadtrat nichts an, und Schedel hatte sich – bis auf sein Schweigen – nichts zu Schulden kommen lassen. Ohnehin, hatte Richard missmutig behauptet, sei Hartmann Schedel ein angesehener und wichtiger Medicus, auf den die Stadt nur ungern verzichten wollte. Das würde den Gedanken an eine härtere Bestrafung von vornherein aussichtslos machen.
»Wie geht es nun weiter?«, flüsterte Mechthild, und damit berührte sie genau jenes Thema, dem Katharina bisher ausgewichen war.
Nicht einmal mit Richard hatte sie darüber gesprochen.
Vielleicht würde sie Nürnberg einfach verlassen und sich in einer anderen Stadt ansiedeln. Noch einmal von vorn anfangen, so wie sie es damals getan hatte, als sie zum ersten Mal aus der Stadt fortgelaufen war.
Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es noch nicht«, sagte sie. »Wir werden sehen.«
Kurze Zeit später pochte es unten an der Haustür, und Katharinawarf einen verstohlenen Blick aus dem Fenster. Es war Bertram, der gekommen war, um Mechthild abzuholen. Katharina ließ ihn ein. Er grüßte sie, wich aber ihren Blicken aus und sprach, bis er das Haus verließ, kein einziges Wort.
Nachdem die beiden fort waren, begann Katharina wie ein gefangenes Tier in ihrem Haus herumzuwandern.
* * *
Am Tag nachdem der Brunnen am Rabenstein untersucht worden war, kam ein Ratsdiener zu Richard nach Hause und befahl ihm, im Rathaus zu erscheinen. Auf Richards Frage hin, worum es ginge, erhielt er nur eine äußerst knappe Antwort: »Bürgermeister Zeuner wünscht Euch zu sprechen.«
Richard folgte der Aufforderung mit gemischten Gefühlen, denn noch immer wusste außer ihm, Arnulf und Katharinas Eltern niemand, dass sie noch am Leben war. Er fürchtete, sich zu verraten, und so betrat er Zeuners Kontor angespannt und voller Unbehagen.
»Ah, Sterner! Setzt Euch!« Der Bürgermeister erhob sich und wies auf einen der Stühle vor seinem Pult.
Richard ließ sich auf die harte Sitzfläche sinken.
Zeuner sah furchtbar aus – blass und übermüdet. Seine Lider waren rot gerändert, und unter seinem rechten Auge prangte ein Bluterguss, der jedoch nicht mehr ganz frisch war. Richard wies mit einem fragenden Blick darauf, und Zeuner verzog das Gesicht.
»Ein kleines Missgeschick, das mir vorgestern Abend passiert ist. Ich war zu erschöpft von den ganzen Begebenheiten in der Stadt und bin gegen eine Schranktür gelaufen.« Zeuner lachte auf, und es klang in Richards Ohren seltsam gehetzt.
»Womit kann ich Euch dienen?«, fragte Richard nun.
Zeuner setzte sich wieder. »Ich ... tja. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich Euch fragen, wo Ihr Katharina habt begraben lassen.«
Überrascht riss Richard die Augen auf. Mit allem hatte er gerechnet: damit, nun endlich verhört zu werden wegen der Rolle, die er am Rabenstein bei Katharinas Verschwinden gespielt hatte. Oder damit, ins Loch geworfen zu werden, weil Zeuner irgendwie in Erfahrung gebracht hatte, dass Katharina noch am Leben war und derBürgermeister die Wasserprobe entgegen der üblichen abwehrenden Haltung der Stadt gegen die Inquisition doch nicht als Beweis für ihre Unschuld anerkennen wollte.
Aber diese Frage verblüffte ihn so sehr, dass er sich für einen ganz kurzen Moment nicht richtig im Griff hatte. »Begraben ...«, murmelte er. Dann erst wurde ihm bewusst, dass Zeuner ihn aufmerksam musterte.
Fieberhaft überlegte er, was er antworten sollte.
Doch er musste sich gar keine Antwort ausdenken, denn jetzt stützte Zeuner die Unterarme auf dem Pult ab und ließ den Kopf sinken. Es war eine Geste, die so voller Trauer und Verzweiflung wirkte, dass Richard unwillkürlich die Stirn runzelte. »Katharina«, hauchte Zeuner mit tonloser Stimme. Es dauerte einen Augenblick, dann hob er das Kinn wieder und sah Richard an. Seine Augen schwammen jetzt in Tränen.
Richard lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, weil die eigene Verwirrung ihn nun völlig verunsicherte. Was ging hier vor?
Zeuner wischte sich über die Nasenspitze. »Verzeiht«, sagte er. »Ich vergesse mich, es ist nur ... Dieser schreckliche Unfall!«
»Ihr meint Katharinas ... Tod?« Richard musste sich zusammenreißen, bevor er das Wort aussprach.
Zeuner schniefte. »Ja.« Seine Stimme war jetzt so rau, als hätte er seit Stunden geweint.
Und da begriff Richard.
»Ihr ...« Er unterbrach sich und setzte neu an. »Ihr habt sie geliebt!« Es erklärte alles!, dachte er. Darum hatte Zeuner sich in den letzten Tagen so seltsam verhalten!
Der
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