Seraphim
seinem Keller.
Der Löve hat seine Arbeit gemacht ... der Flaschenzug ... hat geklemmt ...
Mach dich nicht verrückt!, schalt Richard sich selbst. Sie haben es längst repariert!
Noch einmal quietschte die Kette auf ihrer Rolle. Dann kam sie mit einem Ruck zum Stillstand.
Und Katharina und das Kreuz waren noch immer unter Wasser.Rings um Katharina herum war nichts als Luft. In großen schillernden Blasen stieg sie aus ihrer Kleidung auf, taumelte an ihrem Gesicht vorbei nach oben, wo sie im einfallenden Fackellicht rot leuchtete.
Das Holzkreuz sank schnell tiefer, sie hörte ein dumpfes, rasselndes Geräusch und begriff, dass es die Kette war, die dicht neben ihr zum Flussgrund hinabsank. Dann konnte sie plötzlich nichts mehr sehen. Ihre Augen schmerzten von dem Druck des Wassers, der auf ihnen lastete, und sie schloss sie. In ihren Ohren rauschte es. So fest, wie sie konnte, presste sie die Lippen zusammen, um nichts von dem ekeligen schwarzen Wasser zu schlucken.
Und dann verstummte das Rasseln der Kette, es gab einen kurzen Schlag, dann einen Moment der Stille, nach dem das Rasseln wieder einsetzte.
Endlich hatte sie das Gefühl, sich aufwärts zu bewegen, und Erleichterung durchflutete sie mit solcher Wucht, dass sie beinahe nach Luft geschnappt hätte. Wasser drang ihr in den halb geöffneten Mund, zwischen den Zähnen hindurch bis hinten in den Hals. Gerade noch rechtzeitig presste die die Lippen wieder zusammen. Ihre Kehle zog sich zusammen, und ein Hustenreiz überfiel sie, den sie nur mit Mühe unterdrückte.
Dann, plötzlich, war es still. Nichts rührte sich mehr.
Mitten im schwarzen Nichts schwebte Katharina, das Wasser drückte gegen ihren Leib, in ihre Ohren, die Nase. Sie riss die Augen wieder auf. Sie bewegte sich nicht.
Eisiges Entsetzen sprang sie an, und diesmal schnappte sie tatsächlich nach Luft. Wasser schoss kalt ihre Kehle hinab, und ihre Nase brannte, als es auch in ihr hochstieg. Und plötzlich krallte sich ein furchtbarer Schmerz in ihren Hals. Vor ihren Augen explodierten rote Lichter.
Sie glaubte Stimmen zu hören. Matthias. Ihr Vater. Isobel, ihre Lehrerin. Joachim Gunther. Ihre Lungen schrien nach Luft.
Doch diesmal stiegen keine Luftblasen in die Höhe.
Als die Erkenntnis Richards Geist erobert hatte, dass Bertram Katharina nicht würde hochziehen können, dass sie ertrinken würde, handelte er, ohne zu überlegen. Er riss sich den Mantel von denSchultern und war auf der Mole, bevor er auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen konnte. An der Kante jedoch blieb er wie angenagelt stehen und konnte sich nicht mehr rühren. Zu stark war die Erinnerung an den Weiher von damals. Seine Glieder begannen zu zittern, seine Knie wollten nachgeben.
Jemand rannte an ihm vorbei, glitt mit einem Hechtsprung ins Wasser, und dieser Anblick riss Richard aus seiner Erstarrung. Er sprang hinterher, tauchte unter. Der Schein der Fackeln erhellte die Wasseroberfläche und warf eigenartige zuckende Muster in die Tiefe. Richard schaute sich gehetzt um.
Der Andere war dicht bei ihm. Fasste ihn am Arm.
Dann sah Richard das Kreuz!
Reglos hing es in der Tiefe, Katharinas Körper daran festgebunden. Ihre Haare schwebten umher, umhüllten ihren Kopf, der kraftlos auf die Brust gesunken war.
Richard kämpfte gegen das Entsetzen, gegen die Bilder, die ihn peinigen wollten, gegen die Kälte. Seite an Seite mit dem Anderen tauchte er tiefer, erreichte das Kreuz. Griff danach.
Gemeinsam hoben sie es in die Höhe, der Wasseroberfläche entgegen, die so weit entfernt schien, so weit, dass sie es niemals schaffen würden. Niemals.
Die Luft wurde Richard knapp, aber er gab nicht auf. Er strampelte mit den Beinen, zerrte und zog an dem schweren Holz, und dann, endlich, durchbrachen sie die Wasseroberfläche. So tief, wie es ging, sog Richard die kühle Nachtluft ein.
»Halt sie über Wasser!«
Jetzt endlich erkannte Richard, dass der Andere Arnulf war.
Der Nachtrabe kletterte neben der hölzernen Bühne an Land, packte das Kreuz von dort aus und versuchte, es ins Trockene zu ziehen. Zwei Männer sprangen hinzu und halfen ihm. Richard hatte Wasser in den Augen, aber er glaubte, den Henker und Bürgermeister Zeuner zu sehen. Er drückte und schob, und endlich hatten sie Katharina an Land. Er krabbelte hinter ihr her, beugte sich über sie. Reglos lag sie da, auf das Kreuz gebunden, mit blauen Lippen und geschlossenen Lidern, auf denen sich das Muster ihrer Adern dunkel abzeichnete.Der nächste,
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