Seraphim
fliehen.
»Ich glaube, ich gehe jetzt besser.« Sie wollte an Hoger vorbeischlüpfen, aber er war noch längst nicht fertig mit ihr. Er griff nach ihrem Arm und hielt sie mit solcher Kraft fest, dass es schmerzte.
»Ich habe Erkundigungen über Euch eingeholt«, fuhr er mit kalter Stimme fort. »Ihr seid die Witwe von Egbert Jacob, nicht wahr?«
Katharina räusperte sich. Bevor sie den Mund aufbekam, redete Hoger schon weiter. »Euer Mann ist Euch davongelaufen, stimmt es? Er hat es vorgezogen, auf irgendeiner gefährlichen Reise zu krepieren, statt an Eurer Seite zu bleiben.«
Das nun war nicht nur falsch, sondern schlicht und ergreifend beleidigend. Empörung stieg heiß und kraftvoll in Katharina auf und spülte alle Traurigkeit und alle Angst fort. Sie entriss Hoger ihren Arm. »Mein Mann«, zischte sie, »hatte seine Gründe, diese Reise anzutreten!«
Hoger ließ sich nicht beirren. »Ja, wahrscheinlich hat er es nicht mehr ausgehalten, an der Seite einer Hexe zu leben.« Er spuckte ihr das Wort förmlich vor die Füße.
Bettine stieß einen protestierenden Laut aus, aber Hoger schoss einen so kühlen Blick auf sie ab, dass sie tiefer in ihre Kissen versank.
Katharina wusste nicht, welche Anschuldigung sie mehr schmerzte: die völlig ungerechtfertigte, eine Hexe zu sein, oder die durchaus wahre, ihren geliebten Man aus dem Haus getrieben zu haben. Als sie wieder sprach, kratzten die Worte in ihrem Hals. »Ich bin keine Hexe. Aber im Gegensatz zu Euren Ärzten kann ich Eurer Frau helfen, ihre melancholia zu lindern.« Sie spie das Wort Ärzte förmlich aus. Ihr Gesicht war jetzt heiß, heiß und angespannt.
In Nürnberg gab es acht vom Rat vereidigte Ärzte, und allein siedurften die Heilkunst innerhalb der Stadtmauern ausüben. Unter ihnen befanden sich ein Fachmann für Augenkrankheiten und einer für Steinleiden und Knochenbrüche, sowie die sogenannten Physici, Spezialisten für innere Krankheiten. Darüber hinaus ein Chirurgus für Wundpflege. Zusammen mit dem Infirmarius des Predigerklosters in der Burgstraße durften also innerhalb der Mauern neun Männer als Heiler praktizieren.
Männer!
Selbst wenn Katharina irgendeinen Weg gesehen hätte, den Stadtrat von ihren Fähigkeiten und Kenntnissen zu überzeugen, hätte sie niemals eine Zulassung als Heilerin bekommen. Weil sie eine Frau war.
Aus diesem Grund arbeitete sie im Verborgenen, ständig auf der Hut, entdeckt zu werden.
Plötzlich mischte sich Bettine doch in den Streit ein. »Seit ihr Mann tot ist«, sagte sie vorsichtig, »ist Katharina auf das Geld angewiesen. Du weißt, dass ihr Mann die Medizin studiert hat, bevor er nach Nürnberg kam. Dass sie eine Hexe sein soll, Peter, ist doch völliger Unsinn!«
Plötzlich wurde Hogers Stimme honigsüß. »Wusstest du, dass sie bereits einmal verhaftet wurde, meine Liebe?«
Bettine erbleichte.
Katharina wich ihrem fragenden Blick nicht aus. Es stimmte. Vor zwei Monaten war sie festgenommen worden, weil eine ihrer Kundinnen zu viel über ihre unerlaubten Heilkünste geplaudert hatte. Damals hatte sie fünf Gulden zahlen müssen, als Strafe dafür, ohne Genehmigung Arzneien verkauft zu haben. Es war ein Vermögen für ihre Verhältnisse gewesen, und sie hatte tagelang gebetet, dass sie mit dieser Strafe davonkommen würde. Zu ihrer Erleichterung war der Vorwurf der Zauberei damals nicht aufgekommen.
»Stimmt das?«, fragte Bettine. »Du wurdest tatsächlich verhaftet?« Ein Anflug von Unbehagen huschte über ihr Gesicht, und sie presste sich tiefer in ihre Kissen.
Katharina nickte. »Aber nicht wegen«, sie stockte, »... unchristlicher Handlungen. Nur wegen des verbotenen Handels mit Arzneien.« Sie musste an die Stadtbüttel denken, die sie auf dem Weghierher getroffen hatte, und an die Angst, von ihnen ins Lochgefängnis gesteckt zu werden.
Hoger triumphierte. »Selbst wenn sie keine Hexe ist, eine Betrügerin ist sie allemal!«
Bettine achtete nicht auf ihn. »Woher hattest du das Geld für die Strafe?« Katharina konnte ihr ansehen, wie verzweifelt sie ihr glauben wollte.
»Es war der Rest vom Erbe meines Mannes.« Sie hatte die Strafe angenommen und sie bezahlt, um dem Lochgefängnis zu entgehen, aber damit war sie nun endgültig auf ihrer eigener Hände Arbeit angewiesen.
»Wenn sie dich noch einmal erwischen ...« Bettine schüttelte traurig den Kopf.
... spannen sie mich auf die Folter , ergänzte Katharina ihren Gedanken im Stillen. Sie lauschte in sich hinein, doch da war
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