Seraphim
noch immer zu Fäusten geballt, nicht wahr?«, flüsterte er.
Johannes nickte. Nachdem der Inquisitor ohnmächtig geworden war, hatten sie alle Mühe gehabt, das blutige Messer aus seinen Fäusten zu befreien. Sie hatten es schließlich geschafft, aber Johannes hatte nichts gegen die Verkrampfung tun können, die den gesamten Körper des Inquisitors in ihren Griff genommen hatte. Noch immerging der Atem des Mannes flach, seine Haut war kühl, als säße der Tod bereits auf seiner Brust. Aber sein Puls schlug regelmäßig und kräftig.
Guillelmus holte zitternd Luft. »Die anderen drei liegen in der Kapelle, oder?«
»Ja.«
Guillelmus’ Zunge erschien erneut zwischen seinen Lippen, verschwand jedoch sofort wieder. »Werdet Ihr sie untersuchen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Nun, zum Einen, weil ich es nicht darf. Ich bin ein geweihter Mann, Guillelmus.« Seit dem Vierten Laterankonzil im Jahre 1215 war es Klerikern verboten, sich der Chirurgie zu widmen, geschweige denn Leichen aufzuschneiden.
»Das hat den Prior neulich aber nicht gestört«, sagte Guillelmus.
Johannes konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Stimmt.« Im Frühjahr war einer der Klosterbrüder beim Fällen eines alten Apfelbaumes von einem herabstürzenden Ast getroffen worden. Das gesplitterte Holz hatte sich tief in seine Schulter gebohrt, und weil der vom Stadtrat vereidigte Chirurgus nicht greifbar gewesen war, hatte der Prior Johannes die Erlaubnis gegeben, die Wunde selbst zu versorgen und zu nähen. Johannes war sehr stolz auf das gute Ergebnis, das er dabei erzielt hatte. Der Mönch hatte nicht unter Wundbrand gelitten, und seinen Arm konnte er heute beinahe wieder wie vor dem Unfall benutzen. Allerdings hatte Johannes auf Anweisung des Priors an jenem Tag auf die Erteilung des Abendmahls verzichten müssen, denn es war undenkbar, in den Händen, die kurz zuvor mit menschlichem Blut besudelt worden waren, den reinen Leib Christi zu halten.
Zwischen Guillelmus’ Augen erschien eine steile Falte. »Meint Ihr, der Stadtrat wird Anweisung geben, sie untersuchen zu lassen?«
»Möglich.« Es war sogar wahrscheinlich, dachte Johannes. Zwar waren die brutalen Morde auf dem Klostergelände geschehen, aber die Umstände waren so seltsam und rätselhaft, dass die Obrigkeit ein Interesse daran haben würde, sie zu untersuchen. Er ballte die Hände zu Fäusten.
»... Euer Bruder«, sagte Guillelmus, und Johannes bemerkte, dass er dem jungen Mann kurze Zeit nicht zugehört hatte.
»Was ist mit Hartmann?«, fragte er.
»Ich dachte nur, vielleicht wird er mit der Untersuchung betraut werden.« Guillelmus zuckte die Achseln.
»Möglich.« Johannes war eine Idee gekommen, und er brauchte Zeit, um darüber nachzudenken. »Du solltest jetzt zu Bruder Philipp gehen.«
Guillelmus rührte sich jedoch noch immer nicht. Er wies auf den Inquisitor. »Gestern Nacht«, murmelte er. »Da hatte er Schweiß auf der Stirn.«
Johannes beugte sich vor. Plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis, dem vierten Inquisitor einen Namen zu geben. »Markus Krainer. So heißt er.«
»Gestern Nacht hatte er Schweiß auf der Stirn.«
»Ja«, bestätigte Johannes. Er ahnte, worauf das hinauslief. Er wollte es nicht hören.
»Ich habe nicht schlafen können.«
Johannes nickte unwirsch.
»Und ich habe genauso geschwitzt wie dieser Mann.« Guillelmus’ Kehlkopf ruckte auf und ab, und mit einem kaum zu ertragenden Ausdruck von Angst in den Augen sah er Johannes an. »Glaubt Ihr, dass ich ebenfalls ...« Er hob die Hand vor sein Gesicht und starrte darauf, als fürchte er, sie könne sich selbständig machen.
Der Infirmarius spürte, wie ein Schauer seine Wirbelsäule entlanglief. »Nein!« Sanft legte er Guillelmus den Arm um die Schultern. »Du musst dich nicht sorgen. Ich bin mir sehr sicher, dass das, was den Bruder Inquisitor letzte Nacht getrieben hat, keine ansteckende Krankheit war.«
War er das wirklich? Er dachte an den Schweiß, der den Mann am gesamten Körper bedeckt hatte. Und an den Schweiß, den er sich selbst vom Hals gewischt hatte.
Erleichterung flackerte in Guillelmus’ Blick auf. »Dann war das nicht die Pest?«
»Die Pest äußert sich gänzlich anders, mein Sohn. Glaub mir!«
Guillelmus kaute auf der Unterlippe herum. Er sah sehr kindlichaus dabei. »Aber wenn es keine Krankheit war, dann hatte Bruder Philipp ja doch recht! Dann war es ein Teuf...«
Johannes unterbrach ihn, indem er ihm einen Schlag in den Nacken gab. »Schluss mit
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