Seraphim
sie seinen herben Geruch ein. »Es war nichts Schlimmes.«
»Erzähl mir davon!«
»Nein!« Sie streckte ihren Zeigefinger aus und piekste ihn in die Seite.
Lächelnd wich er ihr aus. »Doch!«
»Nein!«
Und da begann er, sie zu kitzeln, und über dem, was dann folgte, vergaß er zu Katharinas Glück seine Frage.
Die Eibenschützen hatten ihre Übungen beendet. Drückende Stille senkte sich über die Schüdt und holte Katharina in die Gegenwart zurück.
Egbert! Sie schloss die Augen. Später hatte er dann herausgefunden, warum man sie als Kind so oft zur Ader gelassen hatte. Und noch später hatte er es selbst getan, damals, bevor er so überraschend davongeritten war und Katharina ihn zum letzten Mal lebend gesehen hatte.
Sie unterdrückte ein Schluchzen. Wenn sie anfangen würde zu weinen, das wusste sie, würde sie nicht wieder aufhören können. Es war besser, sich zu beherrschen, besser, auf der Stelle wieder aufzustehen, um nicht wie damals in diese furchtbare Starre zu versinken.
Die Schwäne kamen um einen Brückenpfeiler herum, bemerkten Katharina und hofften auf einen Leckerbissen aus ihrer Hand. Zielstrebig schwammen sie auf sie zu.
Katharina betrachtete sie eine Weile und wunderte sich darüber, dass sie heute nur zu fünft waren. Ihr Gefieder leuchtete in der Sonne schneeweiß, und auf dem Rücken eines der Tiere glitzerten ein paar Wassertropfen. Die Vögel zogen dicht am Ufer Kreise und ließen Katharina dabei nicht aus den Augen.
»Ich habe nichts für euch«, murmelte sie.
Der Anblick der schönen Tiere hellte ihre Stimmung ein wenig auf. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, aber die Schwäne zogen es vor, ihr nicht zu nahe zu kommen. Sie entfernten sich ein Stück und beäugten Katharina aus ihren dunklen Augen. Ein Männchen reckte den Hals und schlang ihn um den seiner Partnerin. Es war eine Geste, die in Katharinas Augen sehr zärtlich aussah.
Wenn Egbert ihr seine Zuneigung hatte zeigen wollen, dann hatte er ihr die Hand in den Nacken gelegt und die feinen Härchen dort mit dem Daumen gestreichelt ... Katharina bekam eine Gänsehaut bei dieser Erinnerung. Sie glaubte, ihren Mann lachen zu hören, dieses leise, ein wenig spöttische Lachen, mit dem er auf alles reagiert hatte, was ihm begegnete. Sie sah sein schmales Gesicht vor sich, die scharfe Nase und die blauen Augen. Und auch sein Geruch, der Duft von mit Lavendel und teurem Sandelholz parfümierter Seife, mit der er seine Haare zu waschen pflegte, war ihr jetzt so deutlich in Erinnerung, dass sich ihre Nasenflügel unwillkürlich weiteten. Doch ein leichter Luftzug wehte heran, brachte einen schwach fauligen Geruch mit sich und vertrieb auf diese Weise die Erinnerung.
Schlagartig schossen Katharina Tränen in die Augen. Halb blind erhob sie sich und wollte schon nach dem Ast greifen, um sich den Abhang hinaufzuziehen, da fiel ihr Blick auf etwas Weißes zwischen den Weidenruten.
Sie bog die Stangen zur Seite. Ein Schwanenhals fiel ihr entgegen. Der Kopf des Tieres war in den Nacken geworfen, die Augen blind und grau, wie mit Raureif überzogen. Die ehemals makellosen weißen Federn wirkten stumpf und schmutzig. Eine Fliege kam angesurrt und hockte sich auf den Schnabel.
Katharina schluckte. Ohne darüber nachzudenken, bog sie die restlichen Äste zur Seite, und noch während sie das tat, fragte sie sich, was sie eigentlich antrieb. Der Geruch des toten Tieres stieg ihr jetzt deutlicher in die Nase, schwer und ekelerregend, faulig und ein bisschen süßlich. Sie atmete flach durch den Mund.
Am Leib war das Gefieder mit etwas Dickflüssigem, Dunklem verklebt, das Katharina erst beim zweiten Hinsehen als Blut erkannte. Die schwarzen Füße mit den Schwimmflossen ragten steif in die Luft.
Katharina stieß den Kadaver mit der Schuhspitze an, und er rollte zur Seite, so dass jetzt seine Rückenpartie zu sehen war.
Katharina presste die Hände auf den Mund.
Auf dem Rücken des Schwans klafften zwei längliche blutige Wunden.
Jemand hatte ihm säuberlich beide Flügel abgetrennt.
* * *
Johannes kniete in seiner Zelle vor einem ellenlangen Kruzifix. Er hatte die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt, doch es wollte ihm nicht gelingen, sich auf seine Gebete zu konzentrieren.
»... et dimitte nobis debita nostra ...« , murmelte er und brach ab. Sein Blick hob sich zu dem Kreuz. Sonst, wenn er hier kniete und betete, hatte er stets das Gefühl, dass der kupferfarbene Heiland ihn anblickte. Heute jedoch schien die Figur sich
Weitere Kostenlose Bücher