Seraphim
legte den Kopf schief. »Die Geschichte handelt von ein paar Medizinern, die ein schlagendes Herz beobachten wollten und sich deshalb an Gottes wunderbarer Schöpfung vergingen.« Er griff an Richards Brust und begann damit, die Verschnürung seines Hemdes zu lösen. Kalt berührten seine Fingerspitzen Richards Haut. »Aber sie taten es nicht aus Überheblichkeit, Sterner, sondern aus Liebe.«
Pömer gab ein würgendes Geräusch von sich. Es klang, als sei er dicht davor zu ersticken.
Tu doch etwas! , dachte Richard. Hilf mir! Aber der Getreidehändler schien von seinen Gefühlen ähnlich gefesselt wie Richard von den Lederriemen.
Mit einer zärtlichen Geste schob Marquard das Hemd zur Seite und entblößte damit Richards Brust. Richard riss den Kopf hoch.
»Aus Liebe, Richard«, sagte der Maler verträumt. »Und weißt du, warum?«
Die Tatsache, dass er von der distanzierten Anrede zu dem vertrauten Du übergegangen war, ließ die Furcht in Richard ins Unermesslichesteigen. Jetzt war er das Studienobjekt, schoss es ihm durch den Kopf.
»Sie wollten ihren Herrn vor einem schrecklichen Tod bewahren.« Diesen Satz flüsterte Marquard beinahe ehrfürchtig. »Denn das Herz des Herzogs war schwach, und es drohte seinen Dienst zu versagen. Die Mediziner aber hofften, durch ihre Studien ein Heilmittel für ihn zu finden.« Etwas kratzte über Richards Haut, und er schaffte es, den Kopf so weit zu heben, dass er sehen konnte, was es war. Marquard hatte seine Fingernägel auf die Vertiefung unterhalb seiner Rippen gestellt und ließ sie von dort aufwärts wandern. Richards Nackenhaare richteten sich auf, als der Maler seine Brustwarze erreichte.
Dann war die Berührung plötzlich verschwunden. Richard ließ den Kopf zurück auf den Tisch sinken. Seine Gedanken rasten, doch er sah einfach keine Möglichkeit zu entkommen.
»Pömer!« Wieder verdrehte er den Hals, um den Getreidehändler anzuschauen. Wieder fragte er sich, wo er dessen verträumten, abwesenden Blick schon einmal gesehen hatte.
»Weißt du, warum diese Mediziner erfolglos waren, Richard?«, fragte Marquard. Er gab sich selbst die Antwort: »Weil sie die falschen Studienobjekte wählten.«
Im nächsten Augenblick senkte er die Hand wieder auf Richards Brust, doch diesmal war die Berührung mehr als nur ein leichter Druck. Ein sengender Schmerz ließ Richards Kopf hochschnellen.
Es war ein Skalpell, das Marquard nun in seine Haut senkte.
Richard hörte einen schrillen Schrei, und nur am Rande bemerkte er, dass es sein eigener war.
24. Kapitel
»He, Süße! Was machst du so spät noch so allein hier draußen?«
Ein Mann löste sich aus den Schatten. Katharina wich rückwärts und tastete nach dem Geländer des Schleifersteges, den sie eigentlich gerade hatte überqueren wollen. Die beiden Laternen an seinen Pfeilern verbreiteten nur wenig Licht.
Hier ganz in der Nähe befanden sich die Freibänke, an denen die Schlachter der Stadt ihr geringerwertiges Fleisch an die arme Bevölkerung verkaufen durften. Rings um die engstehenden Häuser und Marktstände hatte sich im Laufe der Jahre eine düstere Halbwelt gebildet. Allerlei lichtscheues Gesindel trieb sich hier herum und schien sich nur wenig an der Tatsache zu stören, dass der Henkersturm ganz in der Nähe lag. Huren lungerten an den Straßenecken und warteten auf zahlungsfähige Freier, und offenbar hielt der Mann Katharina für eine von ihnen.
»Ich ... Ihr verwechselt mich«, gab sie mit fester Stimme zurück. Ihr war völlig klar, dass sie sich in einer gefährlichen Situation befand. Wenn sie hier um Hilfe schrie, würde ihr niemand auch nur einen Wimpernschlag lang seine Aufmerksamkeit schenken.
Dennoch war sie mit voller Absicht hier.
»Ich glaube nicht, Süße!« Der Kerl kam näher, und Katharina konnte jetzt sehen, dass er seinen Hosenlatz offenstehen hatte.
»Geh nach Hause, Willibald!«, brüllte eine Frauenstimme von irgendwo aus der Dunkelheit. »Und lass die Huren in Ruhe! Wer bei mir keinen hochkriegt, gehört ins Bett! Zum Schlafen, meine ich, du Schlappschwanz!«
Der Mann erstarrte. Er senkte den Kopf, als habe er einen schweren Nackenschlag erhalten. Als er wieder aufblickte, wirkte er zornig und unbeholfen, wie ein wilder Stier.
In Katharinas Augen war er auch ebenso groß.
»Ich bin auf der Suche nach einem Nachtraben mit Namen Arnulf«, sagte sie rasch.
Aber er schien sie gar nicht zu hören. Er kam noch näher, so dass sie seinen Gestank wahrnehmen konnte. Rasch hob
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