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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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blieb sein Blick an etwas hängen. »He, wo geht es denn dahin?«
    Katharina fuhr zusammen. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt.
    »Ich glaube, da wohnt der Türmer.« Der Hüne schob sein Schwert zurück in die Scheide. »Soll ein ziemlich unangenehmer Kerl sein.«
    Katharina wich an eine Wand zurück und presste sich mit dem Rücken gegen sie, als könne sie mit ihr verschmelzen. Wohin sollte sie nun? Hilf mir Herr! , flehte sie. Heilige Katharina, ich habe mich dir anvertraut, sprich für mich und rette mich! Sie hörte, wie jenseits des Durchgangs jemand vorbeiging, aber es waren nicht die Büttel. Es waren keine schweren Stiefeltritte, sondern leichte, flüsternde Sohlen, und das Geräusch näherte sich auch nicht von unten, sondern von oben. Vage erinnerte Katharina sich daran, dass eine steile Stiege von dem Raum vor dem Chor noch weiter in die Höhe geführt hatte.
    Ihr wurde klar, was der Büttel gesagt hatte. Dort oben wohnte der Türmer, jener Mann, dessen Aufgabe es war, anhand einer Uhr die Stunden zu zählen und seine Glocke zu läuten. Katharina stammte nicht aus dem Sebalder Viertel, aber sie kannte die Geschichten, die sich um diesen Mann rankten. Es hieß, er verlasse seine winzige Wohnung hoch über der Stadt nur äußerst selten und dann auch nur bei Nacht und für kurze Zeit. In manchen Erzählungen hatte der Türmer von St. Sebald die Gestalt eines Geistes angenommen.
    Katharina duckte sich unwillkürlich, als ein Schatten an dem Durchgang zum Chor vorbeihuschte. Dann erklangen die flüsternden Schritte auf der Treppe nach unten. Sie wurden gleich darauf überlagert von den schweren Tritten, mit denen die beiden Büttel den Turm erklommen.
    »Was, zum Henker, wollt ihr hier?« Eine tonlose, heisere Stimme brachte die Büttel zum Anhalten.
    »Wir glauben, dass sich jemand auf Eurem Turm versteckt!«
    »Unsinn! Niemand wagt es, einfach zu mir emporzusteigen. Verschwindet, elendes Pack!«
    »Aber ...«
    »Ich habe gesagt, ihr sollt verschwinden! Oder wollt ihr einen Fluch riskieren, der euch Eselsohren und Bocksfüße wachsen lässt?«
    »N...nein!«
    »Also!«
    Die beiden Büttel murmelten etwas, dann polterten sie mit noch mehr Lärm, als sie gekommen waren, die Stufen wieder hinunter.
    Katharina sank vor Erleichterung in sich zusammen. Kurz zog sie in Erwägung, sich bei dem Türmer zu bedanken, aber dann entschied sie sich dagegen. Wahrscheinlich ahnte er nicht, dass sie hier war und würde sie verraten, sobald sie sich bemerkbar machte.
    Sie erhaschte eine Bewegung in dem Durchgang, ein Stück von einem dunkelgrünen Gewand. Dann knarrte die steile Stiege, und der Türmer war verschwunden.
    Unten vor dem Westchor wurden kurz noch einmal die Stimmen der Büttel laut, die darüber stritten, was sie nun tun sollten. Dann verstummten auch sie.
    Katharina blieb in luftiger Höhe allein zurück, und es kam ihr vor, als müsse ihr Herzschlag die gesamte Kirche mit seinem Ton ausfüllen.
    * * *
    »Ist es nicht wunderbar? Mein ganz persönliches geheimes Labor!« Während Pömer das sagte, klang seine Stimme noch heiserer als sonst. Er rieb sich die Hände, dann ging er zu dem Tisch mit den Apparaturen. Er nahm einen der mit einer klaren Flüssigkeit gefüllten kugelförmigen Glaskolben in die Hand, entkorkte ihn und kippte einen Tropfen der Lösung auf seine Handfläche. Er wartete einen Moment und schüttelte den Tropfen dann von der Haut. Zufrieden nickte er, griff nach einem der Tongefäße, die an der Wand standen, und schüttete ein schwarzes, grobkörniges Pulver in den Behälter. Aus einem Glaszylinder goss er eine durchsichtige Flüssigkeit dazu, schüttelte alles kräftig durch und stellte es auf den Dreifuß zurück.
    Richard trat neben ihn. »Was tut Ihr hier?« Während er das fragte, wanderte sein Blick in die Tiefe der Höhle hinein, zu dem seltsamenApparat, der dort stand. Er erkannte eine große, bauchige Form, eine Art Riesenkessel, der offenbar aus Messing geschmiedet worden war und auf einem massiven Dreifuß stand.
    Pömers Antwort lenkte ihn von dem Gerät ab. »Erinnert Euch an den Schwur, den Ihr Eurer Magdalena geleistet habt.« Er schnippte mit dem Fingernagel gegen den Glaskolben. »Das ist sozusagen mein Magdalena-Schwur.« Er schürte das Feuer unter dem Wasserkessel, nahm einen zweiten Glaskolben, der dem ersten sehr ähnlich sah, nur dass sich hierin die Flüssigkeit in zwei verschiedene Schichten geteilt hatte. Behutsam goss er die obere der beiden in einen Metalltopf

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